Prüfungsschema zur üblen Nachrede (§ 186 StGB): Täter behauptet oder verbreitet eine nicht erweislich wahre, ehrenrührige Tatsache in Bezug auf einen anderen.
Bei der Nichterweislichkeit handelt es sich nach h.M. um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die vom Vorsatz nicht erfasst sein muss.
Siehe auch die Übersicht: Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff. StGB).
Rechtsgut
Ehre → unstrittig dualistischer Ehrbegriff aus
innerer Ehre (personaler Geltungswert) und
äußerer Ehre (sozialer Geltungswert / „Ruf“)
Ehrbegriff
e.A. Faktischer Ehrbegriff
Wertschätzung, die einem Menschen faktisch (empirisch überprüfbar) entgegengebracht wird.
(con) Problem bei Beleidigung unter vier Augen
e.A. Normativer Ehrbegriff
Wert einer Person, der sich aus ihrer Menschenwürde (Art. 1 I GG) ableitet.
a.A. Personaler Ehrbegriff
Wert, den eine Person sich (aufgrund seines sittlich-sozialen Verhaltens) verdient hat.
h.M. Normativ / personaler Ehrbegriff
Wert einer Person, der sich aus ihrer Menschenwürde ableitet und den sie sich verdient hat.
Tatobjekt kann jeder lebende individuelle Mensch (für Verstorbene § 189 StGB) sein; nach h.M. unabhängig von dessen Aufnahmefähigkeit (z.B. auch Kinder oder Geisteskranke).
Lebende Einzelpersonen können auch unter Nennung einer Kollektivbezeichnung der üblen Nachrede ausgesetzt werden; und mehrere Personen nach h.M. unter einer Sammelbezeichnung (siehe jeweils Schema Beleidigung, § 185 StGB)
Behaupten = Als nach eigener Überzeugung wahr darstellen einer ehrrührigen Tatsache (ohne sie selbst wahrgenommen zu haben)
Verbreiten = Weitergabe einer fremden Tatsachenäußerung
Tatsachenbehauptung = Behauptung über Vorgänge, Zustände oder Ereignisse der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind
Ehrenrührig = Geeignet, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öff. Meinung herabzuwürdigen (Legaldefinition)
Die Behauptung / Verbreitung muss „in Beziehung auf einen anderen“ erfolgen. Adressat muss also ein vom Betroffenen zu unterscheidender Dritter sein (sonst: § 185 StGB).
Bewusstsein und Wille zur Kundgabe gegenüber einem Dritten (nicht: bzgl. der Nichterweislichkeit der Wahrheit, siehe unten). Siehe näher Schema bei § 15 StGB.
Handelt es sich bei der Nichterweislichkeit des Wahrheitsgehaltes in § 186 StGB um ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal oder lediglich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt?
Die Beantwortung dieser Frage ist relevant dafür, wo das Merkmal geprüft wird.
h.M: Unwahrheit ist lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit (wie bei § 186 StGB)
→ Prüfung nach subjektivem Tatbestand und vor Rechtswidrigkeit als dritter Punkt des Tatbestandes; Vorsatz muss sich nicht darauf beziehen (sondern nur auf die Ehrrührigkeit).
Arg.: Nennung der Voraussetzung in § 186 StGB erst im - mit „wird“ eingeleiteten - Teil zur Rechtsfolge
(con) Schutzwürdigkeit von Tätern, die subjektiv viel unternommen haben, um den Wahrheitsbeweis zu überprüfen und daher davon ausgingen (durften)
a.A.: Unwahrheit ist Tatbestandsmerkmal
→ Prüfung zunächst im obj. Tatbestand und dann erneut im subjektiven Tatbestand; Vorsatz muss sich auch darauf beziehen
(con) Wortlaut, der das Merkmal erst nach dem Tatbestand, in den Rechtsfolgen nennt
Was geschieht, wenn sich der Wahrheitsgehalt nicht beweissicher feststellen lässt (sog. non liquet)?
h.M.: Es handelt sich bei der Unwahrheit um ein Merkmal, das positiv festgestellt werden muss
→ Tatsachenbehauptungen mit nicht erweislichem Wahrheitsgehalt nicht strafbar sind
(pro) Grundlegende Systematik des Strafrechts; ‚in dubio pro reo‘-Grundsatz
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Hier:
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Ist die Qualifikation erfüllt, empfiehlt es sich, die objektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem objektiven Tatbestand des Grunddeliktes und die subjektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem subjektiven Tatbestand des Grunddeliktes zu prüfen. Liegt eine Qualifikation nahe, ist diese aber letztlich nicht erfüllt, empfiehlt sich eine getrennte Prüfung.
Beleidigungsdelikte setzten grds. Strafantrag voraus (§§ 194, 77 StGB).