Prüfungsschema zur üblen Nachrede (§ 186 StGB): Täter behauptet oder verbreitet eine nicht erweislich wahre, ehrenrührige Tatsache in Bezug auf einen anderen.
Bei der Nichterweislichkeit handelt es sich nach h.M. um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die vom Vorsatz nicht erfasst sein muss.
- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand
- Objektiver Tatbestand
- Tatobjekt (wie bei § 185)
- Tathandlung: Behaupten / Verbreiten einer ehrenrührigen nicht erweislichen Tatsache
- Adressat: In Beziehung auf einen anderen
- Subjektiver Tatbestand
- Objektive Bedingung der Strafbarkeit / Tatbestandsannex: Nichterweislichkeit der Wahrheit
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Qualifikation
- Strafantrag (§§ 194, 77 StGB)
- § 186 StGB ist einschlägig bei Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten mit nicht erweislichem Wahrheitsgehalt.
- § 187 StGB ist einschlägig bei nachweislich unwahren Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten.
- § 185 StGB ist einschlägig in allen anderen Fällen, insb. bei Werturteilen oder Äußerungen gegenüber dem Beleidigten selbst.
Siehe auch die Übersicht: Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff. StGB).
Ehrbegriff
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e.A. Faktischer Ehrbegriff
Wertschätzung, die einem Menschen faktisch (empirisch überprüfbar) entgegengebracht wird.
(con) Problem bei Beleidigung unter vier Augen
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e.A. Normativer Ehrbegriff
Wert einer Person, der sich aus ihrer Menschenwürde (Art. 1 I GG) ableitet.
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a.A. Personaler Ehrbegriff
Wert, den eine Person sich (aufgrund seines sittlich-sozialen Verhaltens) verdient hat.
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h.M. Normativ / personaler Ehrbegriff
Wert einer Person, der sich aus ihrer Menschenwürde ableitet und den sie sich verdient hat.
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Tatobjekt (wie bei § 185 StGB)
Tatobjekt kann jeder lebende individuelle Mensch (für Verstorbene § 189 StGB) sein; nach h.M. unabhängig von dessen Aufnahmefähigkeit (z.B. auch Kinder oder Geisteskranke).
Lebende Einzelpersonen können auch unter Nennung einer Kollektivbezeichnung der üblen Nachrede ausgesetzt werden; und mehrere Personen nach h.M. unter einer Sammelbezeichnung (siehe jeweils Schema Beleidigung, § 185 StGB)
Tathandlung: Behaupten / Verbreiten einer ehrenrührigen nicht erweislichen Tatsache
Behaupten = Als nach eigener Überzeugung wahr darstellen einer ehrrührigen Tatsache (ohne sie selbst wahrgenommen zu haben)
- Im Zentrum der Tatsachenäußerung steht die eigene Überzeugung des Täters.
- Unerheblich ist, dass er sich dabei auf Dritte als Informationsquellen beruft.
- Auch das Einkleiden in (rhetorische) Fragen oder die Äußerung eines bloßen Verdachts sind umfasst (z.B.: „Hat der A etwa wirklich…?“)
Verbreiten = Weitergabe einer fremden Tatsachenäußerung
- Im Zentrum der Tatsachenäußerung steht die Überzeugung eines Dritten. Der Täter steht dabei selbst nicht für ihre Richtigkeit ein. Dabei ist unerheblich, ob die Aussage tatsächlich durch einen Dritten getätigt wurde.
- Erforderlich für ein Verbreiten des Grundtatbestandes ist kein größerer Empfängerkreis, sodass auch einzelne Adressaten ausreichen (Umkehrschluss aus der Qualifikation ‚öffentlich‘ und ‚durch Verbreiten‘ in HS 2 des § 186 StGB).
- Nach h.M. ist die Weitergabe einer vom Betroffenen selbst stammenden Tatsachenäußerung nicht tatbestandsmäßig (a.A.: Strafausschließungsgrund).
- Grds. kein Verbreiten, wenn Tatsache schon bekannt war.
Tatsachenbehauptung = Behauptung über Vorgänge, Zustände oder Ereignisse der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind
- Wahre Tatsachenbehauptungen sind grds. nicht ehrrührig und somit straffrei (Ausnahme: Formalbeleidigung nach §§ 192, 193 jeweils 2. HS).
- Für erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten ist § 187 StGB lex specialis.
- Erfasst von § 186 StGB sind somit nicht nachweisliche Tatsachenbehauptungen.
- Keine Behauptung durch das bloße Schaffen einer kompromittierenden Sachlage (z.B. Verstecken von Diebesgut im Rucksack des Betroffenen)
Ehrenrührig = Geeignet, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öff. Meinung herabzuwürdigen (Legaldefinition)
Adressat: In Beziehung auf einen anderen
Die Behauptung / Verbreitung muss „in Beziehung auf einen anderen“ erfolgen. Adressat muss also ein vom Betroffenen zu unterscheidender Dritter sein (sonst: § 185 StGB).
Subjektiver Tatbestand
Bewusstsein und Wille zur Kundgabe gegenüber einem Dritten (nicht: bzgl. der Nichterweislichkeit der Wahrheit, siehe unten). Siehe näher Schema bei § 15 StGB.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit / Tatbestandsannex: Nichterweislichkeit der Wahrheit
Handelt es sich bei der Nichterweislichkeit des Wahrheitsgehaltes in § 186 StGB um ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal oder lediglich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt?
Die Beantwortung dieser Frage ist relevant dafür, wo das Merkmal geprüft wird.
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h.M: Unwahrheit ist lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit (wie bei § 186 StGB)
→ Prüfung nach subjektivem Tatbestand und vor Rechtswidrigkeit als dritter Punkt des Tatbestandes; Vorsatz muss sich nicht darauf beziehen (sondern nur auf die Ehrrührigkeit).
Arg.: Nennung der Voraussetzung in § 186 StGB erst im - mit „wird“ eingeleiteten - Teil zur Rechtsfolge
(con) Schutzwürdigkeit von Tätern, die subjektiv viel unternommen haben, um den Wahrheitsbeweis zu überprüfen und daher davon ausgingen (durften)
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a.A.: Unwahrheit ist Tatbestandsmerkmal
→ Prüfung zunächst im obj. Tatbestand und dann erneut im subjektiven Tatbestand; Vorsatz muss sich auch darauf beziehen
(con) Wortlaut, der das Merkmal erst nach dem Tatbestand, in den Rechtsfolgen nennt
Was geschieht, wenn sich der Wahrheitsgehalt nicht beweissicher feststellen lässt (sog. non liquet)?
Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Hier:
Schuld
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Qualifikation
- § 186 Alt. 2 StGB: Öffentlich / durch Verbreiten von Schriften
- § 188 I StGB: Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete üble Nachrede
Ist die Qualifikation erfüllt, empfiehlt es sich, die objektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem objektiven Tatbestand des Grunddeliktes und die subjektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem subjektiven Tatbestand des Grunddeliktes zu prüfen. Liegt eine Qualifikation nahe, ist diese aber letztlich nicht erfüllt, empfiehlt sich eine getrennte Prüfung.
Strafantrag (§§ 194, 77 StGB)
Beleidigungsdelikte setzten grds. Strafantrag voraus (§§ 194, 77 StGB).