Prüfungsschema zur Beleidigung (§ 185 StGB): Täter beleidigt andere Personen oder bleidigungsfähige Personengesamtheiten. Beleidigen ist daskundtun einer Geringschätzung oder Missachtung, die geeignet ist, Betroffene verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Siehe auch die Übersicht: Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff. StGB).
Rechtsgut
Ehre → unstrittig dualistischer Ehrbegriff aus
innerer Ehre (personaler Geltungswert) und
äußerer Ehre (sozialer Geltungswert / „Ruf“)
Ehrbegriff
e.A. Faktischer Ehrbegriff
Wertschätzung, die einem Menschen faktisch (empirisch überprüfbar) entgegengebracht wird;
(con) Problem bei Beleidigung unter vier Augen.
e.A. Normativer Ehrbegriff
Wert einer Person, der sich aus ihrer Menschenwürde (Art. 1 I GG) ableitet.
a.A. Personaler Ehrbegriff
Wert, den eine Person sich (aufgrund ihres sittlich-sozialen Verhaltens) verdient hat.
h.M. Normativ / personaler Ehrbegriff
Wert einer Person, der sich aus ihrer Menschenwürde ableitet und den sie sich verdient hat.
Tatobjekt kann jeder lebende Mensch sein (für Verstorbene s. § 189 StGB); nach h.M. unabhängig von dessen Aufnahmefähigkeit (z.B. auch Kinder oder Geisteskranke).
Mehrere Personen können auch unter Nennung einer Sammel-/Kollektivbezeichnung beleidigt werden. Überwiegend wird dafür verlangt, dass...
Beispiel.: Die Lehrer am Schiller-Gymnasium verkaufen Schulnoten.
Sind Personengesamtheiten beleidigungsfähig?
Aus § 194 III 2, IV StGB folgt, dass jedenfalls die dort genannten Einrichtungen beleidigt werden können.
Rspr.: (+) Andere Personengesamtheiten sind beleidigungsfähig, wenn diese eine rechtlich anerkannte, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können.
Beispiel: "Die Berliner Polizei", "die Bundeswehr"; Nicht erfasst dagegen: „Die Polizei“ da keine einheitliche Willensbildung unterschiedlicher Landespolizeien
a.A.: (-) Andere Personengesamtheiten sind nicht beleidigungsfähig
(pro) Systematik: Umkehrschluss aus § 194 III 2, IV StGB; Telos: Von § 185 StGB geschützte Ehre ist individuell
Beleidigung = Kundgabe einer Geringschätzung oder Missachtung, die geeignet ist, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
Wörtlich (z.B. durch Kraftausdrücke), schriftlich (z.B. Brief), bildlich (z.B. Karikatur), durch Gesten (z.B. durch Ansinnen sexueller Handlungen)
Welche Äußerungen im vertrauten Kreis sind strafbar?
h.M.: Nur Äußerungen unter Eheleuten und im engsten Familienkreis sind nicht strafbar
(e.A.: außer bei der Möglichkeit, dass diese nach außen dringen)
(pro) Systematik: Privatsphäre des Art. 2 I, 1 I GG; Telos: Bereich vertraulicher Kommunikation und des „Abreagierens“
Teilauffassung 1
Teleologische Reduktion des Tatbestandes, da aufgrund der Vertraulichkeit keine Verletzung der äußeren Ehre möglich ist
Teilauffassung 2:
Greifen als Rechtfertigungsgrund
e.A.: Zusätzlich keine Strafbarkeit für alle eng vertrauten Personen
z.B. engster Freundeskreis oder vertrauliches, der ärztlichen Schweigepflicht unterliegendes Arztgespräch
Gegenüber dem Betroffenen selbst oder gegenüber Dritten kann die Beleidigung mittels ehrkränkenden Werturteils erfolgen.
Werturteil = gekennzeichnet durch eine persönliche Wertung, Einschätzung, Schlussfolgerung, Stellungnahme bzw. Dafürhalten oder Ähnliches, die nicht durch Tatsachen belegbar und aufgrund ihrer Subjektivität somit dem Beweis nicht zugänglich sind.
Beispiel: „Der A ist ein dummes Luder.“
Gegenüber dem Betroffenen (gegenüber Dritten: § 187 StGB) kann die Beleidigung auch mittels ehrkränkender Tatsachenbehauptungen erfolgen.
Tatsachenbehauptung = Behauptung über Vorgänge, Zustände oder Ereignisse der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind.
Auch umfasst sind Behauptungen über innere Tatsachen, wie Absichten, Motive, Charaktereigenschaften oder Beweggründe, soweit sie erkennbar eine Beziehung zu bestimmten äußeren Ereignissen aufweisen und dadurch der notwendige Realitätsbezug hergestellt wird.
Beispiel: „Der A ist ein Dieb.“ (= Innere Tatsache, die in Beziehung zu einem äußeren Ereignis – nämlich einem Diebstahl – gesetzt werden kann)
Straftaten sind nach § 190 StGB erweislich wahr, wenn der Beleidigte wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden ist; der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte rechtskräftig freigesprochen worden ist.
Formalbeleidigung = Beleidigung ergibt sich aus der Form oder den Umständen.
Form
z.B. herabwürdigender Ton; besonders gehässige Einkleidung oder tendenziöse Zusammenstellung von Tatsachen
Umstände
Publikationsexzess
z.B. öffentliches Verbreiten von Tatsachen ohne berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit wie etwa Fotos eines Ladendiebs
Reaktualisierung
z.B. Schilderung von Geschehnissen nach längerem Zeitablauf wie etwa „Intimes Vorleben“ auf einer Hochzeit
Handelt es sich bei der Nichterweislichkeit des Wahrheitsgehaltes um ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal oder lediglich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt?
Die Beantwortung dieser Frage ist relevant dafür, wo das Merkmal geprüft wird.
h.M.: Unwahrheit ist ein echtes (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal (wie bei § 187 StGB)
→ Prüfung zunächst im obj. Tatbestand und dann erneut im subjektiven Tatbestand; Vorsatz muss sich auch darauf beziehen
Aufbauhinweis: Dieser Ansicht folgt auch der vorliegende Aufbau.
a.A: Unwahrheit ist lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit (wie bei § 186 StGB)
→ Prüfung nach subjektivem Tatbestand und vor Rechtswidrigkeit als dritter Punkt des Tatbestandes; Vorsatz muss sich nicht darauf beziehen (sondern nur auf die Ehrrührigkeit).
Arg.: Nennung der Voraussetzung in § 186 StGB erst im - mit „wird“ eingeleiteten - Teil zur Rechtsfolge
(con) Systematik: Da bezüglich des Merkmals kein Vorsatz erforderlich ist, ist § 186 StGB strenger. Dies passt jedoch nur für die in § 186 StGB geregelte - im Vergleich zur (nur gegenüber dem Opfer erfolgten) ‚einfachen' Beleidigung - intensivere Rufschädigung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptungen in Bezug auf Dritte (also mit Außenwirkung). Es würde ich bei der Übertragung somit um eine unzulässige strafschärfende Analogie zu § 186 StGB handeln.
Was geschieht, wenn sich der Wahrheitsgehalt nicht beweissicher feststellen lässt (sog. non liquet)?
h.M.: Es handelt sich bei der Unwahrheit um ein Tatbestandsmerkmal, das positiv festgestellt werden muss
→ Anwendung des ‚in dubio pro reo‘-Grundsatzes, sodass Tatsachenbehauptungen mit nicht erweislichem Wahrheitsgehalt nicht strafbar sind
(pro) Grundlegende Systematik des Strafrechts; ‚in dubio pro reo‘-Grundsatz
a.A.: Es handelt sich bei der Unwahrheit um ein Merkmal, das angenommen wird, solange der Beschuldigte nicht die Wahrheit beweisen kann
→ Die Beweislast liegt beim Beschuldigten, sodass Tatsachenbehauptungen mit nicht erweislichem Wahrheitsgehalt strafbar sind.
(pro) Systematik: Auch in § 186 StGB ist das Merkmal negativ formuliert, was als eine Umkehr der Beweislast interpretiert wird ("wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist")
(con) Unpassende und unzulässige strafschärfende Analogie zu § 186 StGB (vgl. Arg. oben)
Bedingter Vorsatz / Eventualvorsatz (lat. dolus eventualis) ausreichend. „Beleidigungswille“ nicht notwendig. (e.A. kein Vorsatz bzgl. der Unwahrheit, da dies nur objektive Bedingung der Strafbarkeit, s.o.)
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Hier:
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Ist die Qualifikation erfüllt, empfiehlt es sich, die objektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem objektiven Tatbestand des Grunddeliktes und die subjektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem subjektiven Tatbestand des Grunddeliktes zu prüfen. Liegt eine Qualifikation nahe, ist diese aber letztlich nicht erfüllt, empfiehlt sich eine getrennte Prüfung.
Beleidigungsdelikte setzten grds. Strafantrag gem. §§ 194, 77 StGB voraus
Nach dem Gedanken der Kompensation kann das Gericht gem. § 199 StGB, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird und ein psychologischer Zusammenhang zwischen den Taten besteht, einen oder beide Beleidiger für straffrei erklären.