Grundprüfungsschema für das vorsätzliche vollendete Begehungsdelikt (§ 15 Var. 1 StGB) mit den wichtigsten Prüfungspunkten und Problemen innerhalb des objektiven und subjektiven Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit und der Schuld.
Für Fahrlässigkeitsdelikte, unechte Unterlassungsdelikte und Versuch, siehe die jeweils besonderen Prüfungsschemata.
Der Aufbau soll aus sich heraus verständlich sein und wird nicht erklärt. Inzidentprüfungen sind zu vermeiden.
Bildung von Tatkomplexen
Erleichtert Zuordnung; Benennung nach Handlungen und nicht nach Delikten („Schüsse auf O“ statt „Mord an O“).
Bei mehreren Beteiligten
Täter vor Teilnehmer; Mit Tatnächstem beginnen; Tatmittler vor mittelbarem Täter; Einzeltäter vor Mittäter; Bei gemeinschaftlichem Handeln können Mittäter gemeinsam geprüft werden, wobei aber jedenfalls Vorsatz und Schuld individuell zu prüfen sind.
Bei mehreren Delikten
Alle in Betracht kommenden Delikte anprüfen; grds. nach Schwere der Straftat ordnen („Dickschiffe voran!“); Tun vor Unterlassen; Unechte Unterlassungsdelikte vor echten Unterlassungsdelikten; Vorsatzdelikte vor entsprechenden Fahrlässigkeitsdelikten; vollendetes Delikt vor Versuch; Anstiftung vor Beihilfe
Bei echten Sonderdelikten begrenzter Täterkreis
Beispiel: Amtsträger (§§ 331 ff. StGB i.V.m. § 11 I Nr. 2 StGB)
Tathandlung = Der Außenwelt erkennbares, willensgetragenes menschliches Verhalten (Tun oder Unterlassen)
Beispiele: Gesundheitsschädigung (§ 223 I StGB); Tod eines Menschen (§ 212 I StGB); konkrete Verkehrsgefährdung (§ 315c StGB)
Kausal = Jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (Äquivalenztheorie / conditio-sine-qua-non-Formel).
Ergänzungssatz für Fälle alternativer Kausalität: Von mehreren Bedingungen, die alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ist jede kausal.
Außergewöhnliche Kausalverläufe
Kumulative Kausalität
Mehrere Handlungen, die alleine betrachtet nicht zum Erfolg führen würden, von denen jedoch keine hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele.
Beispiel: Zwei Personen verabreichen jeweils eine halbe Dosis tödlichen Giftes
→ Jede Einzelhandlung ist kausal
Alternative Kausalität
Mehrere Handlungen, die alleine betrachtet zum Erfolg führen, von denen also eine hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele.
Beispiele: Drei Personen verabreichen jeweils eine volle tödliche Dosis; zehn Schützen eines Erschießungskommandos geben einen tödlichen Schuss ab; alle fünf abstimmungsberechtigten Gremienmitglieder stimmen für die Erteilung des Schießbefehls
→ Korrektur der sine-qua-non-Formel notwendig → auch hier ist jede von mehreren Einzelhandlungen kausal, die zwar alleine, nicht jedoch gemeinsam mit allen anderen hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aber ggf. Korrektur auf Ebene der objektiven Zurechnung, wenn die drei Personen nichts voneinander wissen, s.u.)
Abgebrochene / Überholende Kausalität
Durch ein Dazwischentreten des Ausgangsstörers, des Opfers oder eines Dritten kann die Kausalkette gänzlich abgebrochen und eine überholende neue gestartet werden.
Beispiel: A gibt B Gift. C erschießt B bevor dieses wirkt.
→ Alte Einzelhandlung ist nicht kausal (aber: Versuch)
Nicht abgebrochen, sondern weiterwirkend ist die alte Handlung hingegen, wenn sie ihrerseits sine-qua-non für eine neue dazwischentretende Handlung ist.
Beispiel: A gibt B Gift. B stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus bei einem Unfall. Hier war das Verabreichen des Giftes sine-qua-non für die Krankenhausfahrt.
→ Kausalität wird nicht abgebrochen (ggf. Korrektur auf Ebene der objektiven Zurechnung, s.u.)
Aufbau entspricht h.L.; BGH prüft objektive Zurechnung nur bei Fahrlässigkeitsdelikten und grenzt ansonsten im Vorsatz ab: Zurechnung, wenn sich Abweichung zwischen der Vorstellung des Täters und dem tatsächlichen Tatverlauf in den Grenzen allgemeiner Lebenserfahrung bewegt und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt.
Objektive Zurechnung = Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr (Gefahrschaffung), die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat (Risikozusammenhang)
Der Täter muss eine durch die Rechtsordnung insgesamt missbilligte Gefahr schaffen.
Nicht bei Risikoverringerung
Rechtsgutverletzung wird durch die Tathandlung verringert oder verzögert.
Beispiel: A lenkt den Schlag des B auf den C ab, sodass C lediglich am Arm und nicht am Kopf getroffen wird.
Gerade die rechtlich missbilligte Gefahr muss sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert haben (Risikozusammenhang).
Zu dieser Bestimmung haben sich folgende Kategorien herausgebildet:
Schutzzweck der Norm
Im Erfolg hat sich nicht das vom Schutzzweck der Norm missbilligte Risiko verwirklicht.
Beispiel: A missachtet eine rote Ampel und überfährt erst 2 km weiter, unter Einhaltung der Verkehrsregeln B (die rote Ampel schützt nicht davor, dass A zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort fährt).
Nicht bei völlig atypischen Kausalverläufen oder geringer Wahrscheinlichkeit (str.)
Erfolg liegt völlig außerhalb dessen, was nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwarten war. (Im Falle nur geringer Abweichungen ggf. kein Vorsatz bzgl. Kausalverlauf, s.u.).
Beispiel: A tritt B auf den Fuß, wodurch sich ein Blutgerinnsel löst, das zu einem tödlichen Schlaganfall führt; teilweise wird auch der o.g. Fall, in dem A den B zu einer Reise im später abstürzenden Flugzeug überredet, hier eingeordnet.
Nicht bei eigenverantwortlichem Dazwischentreten Dritter
Ein Dritter muss vorsätzlich (a.A.: voll eigenverantwortlich = mindestens grob fahrlässig) eine auf den Erfolg hinwirkende Gefahr begründen.
Beispiel: A gibt B Gift. B wird im Krankenhaus von C erstickt.
Aber: Das geschaffene Risiko oder Dazwischentreten darf nicht bereits in der Tathandlung angelegt sein.
Beispiel: A zündet ein Haus an. Feuerwehrmann C kommt voll eigenverantwortlich zur Hilfe und stirbt dabei.
Ausführlich hierzu die Übersicht: Vorsatz und Fahrlässigkeit bei § 15 StGB.
Vorsatz = Wille zur Verwirklichung des Tatbestandes (voluntatives Element) in Kenntnis seiner Merkmale (kognitives Element)
Beispiele: Zueignungsabsicht (§§ 242 I, 249 StGB), Bereicherungsabsicht (§§ 253, 259, 263 StGB)
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Siehe für eine Übersicht der möglichen Rechtfertigungsgründe die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Regelbeispiele werden etwa im Unterschied zu Qualifikationen nicht im Tatbestand, sondern als IV. direkt nach der Schuld geprüft, da sie lediglich die Strafzumessung beeinflussen (daher auch: „Strafzumessungsregeln“).
Strafantrag (§§ 77ff StGB)
Beispiele: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), Körperverletzung (§ 230 StGB), Sachbeschädigung (§ 303c StGB)
Persönliche Strafaufhebungsgründe
Beispiele: Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB); Rücktritt vom Versuch der Beteiligung (§ 31 StGB)
Persönliche Strafausschließungsgründe
Beispiele: Keine Strafbarkeit der Begünstigung der eigenen Person (§ 258 V StGB) oder von Angehörigen § 258 VI StGB); Selbstgeldwäsche (§ 261 VII StGB)
Strafausschließungsgründe liegen bereits zur Tatzeit vor.
Strafaufhebungsgründe treten nachträglich ein.
Sie führen beide zwar - wie beim Ausschluss des Tatbestandes ebenfalls - zur Straffreiheit des Täters. Es liegt jedoch - im Unterschied zum Ausschluss des Tatbestandes - weiterhin eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Haupttat vor, an der eine Teilnahme möglich ist.