Prüfungsschema zur fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB): Täter verursacht durch Fahrlässigkeit, den Tod eines anderen Menschen. Fahrlässigkeit erfordert jeweils eine subjektive und objektive Sorgfaltspflichtverletzung sowie Vorhersehbarkeit der Tatfolge.
Bei vorsätzlicher Tötung kommen dagegen §§ 211, 212, 216 StGB in Betracht.
- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand
- Handlung
- Erfolgseintritt
- Kausalität
- Objektive Zurechnung
- Gefahrschaffung
- Risikozusammenhang
- Schutzzweck der Norm
- Pflichtwidrigkeitszusammenhang (rechtmäßiges Alternativverhalten)
- Freiverantwortliche Selbstgefährdung & einverständliche Fremdgefährdung
- Freiverantwortliche Selbstgefährdung
- Einverständliche Fremdgefährdung
- Objektive Fahrlässigkeitselemente
- Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
- Objektive Vorhersehbarkeit
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Subjektive Fahrlässigkeitselemente
- Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
- Subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgs
- Allgemeine Schuldelemente
- Rechtsgut
Leben
- Deliktart
Fahrlässiges Begehungsdelikt
Tatbestand
Handlung
Tun oder Unterlassen (bei Garantenstellung, § 13 StGB)
Erfolgseintritt
Tod eines Menschen.
Kausalität
Eine Handlung ist kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (conditio sine qua non).
Objektive Zurechnung
Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dann, wenn der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat (Gefahrschaffung), die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat (Risikozusammenhang).
Grds. können alle Probleme der objektiven Zurechnung relevant werden (siehe hierfür das Grundschema: Vollendetes vorsätzliches Begehungsdelikt). Besonders häufig problematisch sind:
Gefahrschaffung
Es wird bereit keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, da es sich um ein sozialadäquates / erlaubtes Risiko handelt.
Beispiel: A rät dem B auch mal den Klettersteig an seinem Lieblingsberg auszuprobieren. B tut dies und verunglückt dabei tödlich.
Risikozusammenhang
Schutzzweck der Norm
Im Erfolg hat sich nicht das vom Schutzzweck der Norm missbilligte Risiko verwirklicht
Beispiel: A achtet in einer 30er Zone in Ort 1 nicht auf seine Geschwindigkeit und fährt 50km/h, sodass er früher in Ort 2 ist und dort das auf die Straße rennende Kind B überfährt (Unfallschutz in Ort 2 nicht Schutzzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung in Ort 1)
Pflichtwidrigkeitszusammenhang (rechtmäßiges Alternativverhalten)
Beispiel: A fährt mit dem LKW an Radfahrer B vorbei und hält dabei nur 0,75m statt den vorgeschriebenen 1,5m Abstand ein. B wird dabei überrollt. Der zu geringe Abstand hat die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls zwar erhöht, dieser wäre jedoch auch bei ordnungsgemäßem Abstand eingetreten.
- e.A. Vermeidbarkeitstheorie (täterfreundlicher)
Zurechnung nur, wenn der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (also vermeidbar gewesen wäre).
→ (-) keine obj. Zurechnung im Bsp.
- a.A. Risikoerhöhungstheorie (strenger)
Zurechnung bereits, wenn der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten auch nur möglicherweise ausgeblieben wäre, das pflichtwidrige Verhalten das Risiko des Erfolgseintritts also zumindest erhöht hat.
→ (+) obj. Zurechnung im Bsp.
Freiverantwortliche Selbstgefährdung & einverständliche Fremdgefährdung
Freiverantwortliche Selbstgefährdung
Die freiverantwortliche Selbstgefährdung (Tatherrschaft liegt beim Opfer) oder -verletzung eines Opfers durch sich selbst ist grds. straffrei. Die Beihilfe (§ 27 StGB) hierzu mangels vorsätzlicher und rechtswidriger Haupttat auch. Diese Wertung gilt auch für die fahrlässige Tötung.
Beispiel: A nimmt seit Jahren Heroin und ist sich dessen Wirkung und Gefährlichkeit voll bewusst. B besorgt ihm eine Ladung. A verabreicht sich eine Überdosis und stirbt.
→ (+) Freiverantwortliche Selbstgefährdung
Fahrlässige Tötung durch Unterlassen bei freiverantwortlicher Selbstgefährdung
Beispiel: Wie oben. Zudem: B erkennt die Risiken für A und unterlässt es Rettungsmaßnahmen einzuleiten.
- Rspr.: (+) Fahrlässige Tötung durch Unterlassen
- h.L.: (–) Keine Fahrlässige Tötung durch Unterlassen
(pro) Sonst würde die Straffreiheit der Hilfe zur freiverantwortlichen Selbstgefährdung wieder umgangen werden
Ein abweichendes Ergebnis ergibt sich, wenn die Handlung nicht freiverantwortlich ist, etwa weil der Helfende ein überlegenes Wissen / das Opfer bewusst täuscht.
Beispiel: A nimmt seit Jahren Kokain und ist sich dessen Wirkung und Gefährlichkeit voll bewusst. B besorgt ihm eine Ladung, streckt diese jedoch heimlich mit Heroin, um ihn abhängiger zu machen. A verabreicht sich seine gewohnte Dosis und stirbt aufgrund des Heroinanteils.
→ (–) Keine freiverantwortliche Selbstgefährdung
Einverständliche Fremdgefährdung
Beispiel: A will bei stürmischem Wetter von B mit dessen Fähre über die Memel (Fluss) transportiert werden. B lehnt dies zunächst mit Verweis auf die Gefahren ab. A besteht weiterhin darauf und sagt er wolle das Risiko eingehen. Bei der Überquerung kentert die Fähre und A stirbt.
Die einverständliche Fremdgefährdung (Tatherrschaft liegt beim Täter) ist dogmatisch umstritten.
- e.A.: (–) Keine objektive Zurechnung, wenn beide das Risiko gleich gut überschauen können (sodass Strafbarkeit ausscheidet).
- a.A.: (+) Objektive Zurechnung gegeben, aber ggf. rechtfertigende Einwilligung (hier sind jedoch die Grenzen insb. der §§ 216, 228 StGB zu beachten, sodass i.d.R. eine Strafbarkeit zu bejahen ist).
Objektive Fahrlässigkeitselemente
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
Objektive Vorhersehbarkeit
Erfolgseintritt und Kausalverlauf müssen objektiv zumindest in groben Zügen vorhersehbar sein.
Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Siehe für eine Übersicht der möglichen Rechtfertigungsgründe die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Schuld
Subjektive Fahrlässigkeitselemente
Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
- Täter muss nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse in der Lage sein die Sorgfaltspflichten zu erkennen und zu erfüllen.
- Falls (-) ggf.: „Übernahmeverschulden“ = Täter ist freiwillig übernommener Aufgabe nach seinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen nicht gewachsen, hätte dies jedoch wissen können bzw. wusste dies; Beispiel: Arzt übernimmt aus Profitgier komplexe Operation, die seine fachliche Kompetenz deutlich übersteigt / für die er nicht die technisch-apparative Ausstattung hat
Subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgs
Vorhersehbarkeit des Erfolgs unter (einschränkender) Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des Täters.
Allgemeine Schuldelemente
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.