Prüfungsschema zur falschen Verdächtigung (§ 164 StGB): Bestraft wird, wer einen objektiv falschen Tatverdacht in Bezug auf einen anderen hervorrufen, bestärkt oder umlenkt.
Subjektiv erforderlich ist nach h.M. bewusster Vorsatz (dolus directus 2. Grades) bezüglich der Falschheit des Tatvorwurfs sowie nach h.M. (entgegen des weitergehenden Wortlautes „Absicht“) lediglich bewusster Vorsatz (dolus directus 2. Grades), ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen einen anderen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen.
Neben Abs. 1 wäre Abs. 2 als eigener Tatbestand zu prüfen. Er entfaltet jedoch wenig Examensrelevanz. Das Schaffen einer falschen Beweislage genügt nach Abs. 2 nach ganz h.M. nicht („sonstige Behauptung“). Bedeutsam ist er in der Praxis als Auffangtatbestand insb. für Ordnungswidrigkeiten sowie Maßnahmen der Gewerbeaufsicht (da: keine Bezichtigung einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht erforderlich).
Verdächtigen = Das Hervorrufen, Bestärken oder Umlenken eines Verdachts
Geeignetheit
Täuschung muss ex ante geeignet sein, die Strafverfolgungsbehörden zu unnützen Maßnahmen zu veranlassen (Arg: Schutzzweck).
z.B. nicht bei völlig absurden Schilderungen wie A habe B verhext.
Modalität
Unstrittig: Durch falsche Tatsachenbehauptungen
Str., ob auch durch Schaffen verdachtserregender Beweislagen sowie durch Leugnen oder durch Leugnen unter logischer Berufung auf irgendeinen Dritten (siehe jeweils Problembox).
Ist ein „Verdächtigen“ durch Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage möglich?
Beispiel: Verstecken einer Tatwaffe oder von Diebesgut bei einem anderen
e.A.: (–) Nein, keine Strafbarkeit
(pro) Systematik: Auslegung des Abs. 1 im Lichte des Wortlautes des Abs. 2: „sonstige Behauptung“; Auslegung des Abs. 1 im Lichte des § 165 StGB: Modalität „öffentlich“ und „durch Verbreiten von Schriften“ dort nur bei Aufstellung von Behauptungen möglich, nicht bei Schaffung verdachtserregender Beweislagen.
h.M.: (+) Ja, strafbar
(pro) Wortlaut: lässt weite Auslegung zu; Telos: auch durch das Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage ist eine gleiche Gefährdung des Betroffenen möglich (Individualtheorie)
Ist ein „Verdächtigen“ durch Leugnen möglich?
(-) Einfaches Leugnen = Bloßes Negieren des Tatverdachts
Beispiel 1: „Das war ich nicht.“
Nach ganz h.M. (-) nicht strafbar.
(pro) Systematik: Aussageverweigerungsrecht (Nemo Tenetur-Grundsatz aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 2 I GG und Rechtsstaatsprinzip) muss neben Schweigen auch Leugnen ermöglichen
(+/-) Modifiziertes Leugnen = Leugnen unter Berufung auf irgendeinen Dritten
Beispiel 2: „Das war ich nicht. Das war sicher wieder jemand aus Düsseldorf.“
h.M.: (-) Strafbarkeit
(pro) Systematik: Aussageverweigerungsrecht (Nemo Tenetur-Grundsatz aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 2 I GG und Rechtsstaatsprinzip) dadurch erheblich eingeschränkt; auch im Zivilrecht „Recht auf qualifizierte Lüge“ z.B. bei Frage nach Schwangerschaft im Einstellungsverfahren
e.A.: (+) Strafbarkeit
(pro) Dem Täter wäre auch ein straffreies einfaches Leugnen möglich gewesen; Telos: Bereits modifiziertes Leugnen ist geeignet, die Rechtspflege durch unnütze Ermittlungen falsch in Anspruch zu nehmen.
Kern der Mitteilung muss objektiv falsch sein. Dies folgt aus (1) Überschrift „falsche Verdächtigung“ und (2) Wortlaut „wider besseren Wissens“.
Muss der Verdächtige tatsächlich unschuldig sein?
Beispiel: A beobachtet B bei einem Einbruch und erstellt mit Photoshop Bilder des Einbruchs.
e.A.: (+) Ja
(pro) Wortlaut: Verdächtigung ist sonst nicht objektiv falsch.
→ Beispiel (-) nicht strafbar.
a.A.: (–) Nein
(pro) Telos: Auch der Schuldige ist schutzbedürftig gegenüber falschem Beweismaterial und auch durch falsche Beweistatsachen wird die Rechtspflege unnötig beansprucht (da sie nicht verwertet werden dürfen).
→ Beispiel (+) strafbar.
Die falsche Verdächtigung muss eine bestimmte, identifizierbare, verfolgbare (= noch lebende) Person bezichtigen.
Nicht ausreichend ist die Selbstbezichtigung oder ein falscher Verdacht gegen Unbekannt (dann § 145d StGB).
Die Verdächtigung kann erfolgen:
Erforderlich ist bewusster Vorsatz (dolus directus 2. Grades) bezüglich
Entgegen dem Wortlaut „Absicht“ ist nach h.M. keine Absicht im rechtstechnischen Sinne (dolus directus 1. Grades) notwendig.
Direkter Vorsatz / Wissentlichkeit (dolus directus 2. Grades) ist demnach ausreichend.
Eventualvorsatz (dolus eventualis) reicht hingegen nicht aus.
Siehe zu den jeweiligen Unterschieden ausführlich die Übersicht: Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Siehe für eine Übersicht der möglichen Rechtfertigungsgründe die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Speziell hier stellt sich das Problem:
Ist eine (rechtfertigende) Einwilligung möglich?
Beispiel: Fahrer A und Beifahrer B tauschen nach einem Verkehrsunfall kurz vor einer Polizeikontrolle die Sitzplätze.
Ergebnis ist abhängig vom geschützten Rechtsgut des § 164 StGB:
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.