Prüfungsschema zur Urkundenfälschung (§ 267 StGB): Täter stellt eine unechte Urkunde her, verfälscht eine echte Urkunde oder gebraucht eine unechte oder verfälschte Urkunde.
Urkunde ist dabei jede verkörperte (Perpetuierungsfunktion) menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion) und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion).
- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand
- Objektiver Tatbestand
- Tatobjekt
- Funktionen von Urkunden
- Garantiefunktion
- Perpetuierungsfunktion
- Beweisfunktion
- Formen von Urkunden
- Echte Urkunde
- Unechte Urkunde
- Zusammengesetzte Urkunde
- Gesamturkunde
- Tathandlung
- Herstellen einer unechten Urkunde (Abs. 1 Var. 1)
- Verfälschen einer echten Urkunde (Abs. 1 Var. 2)
- Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (Abs. 1 Var. 3)
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht, im Rechtsverkehr zu täuschen
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Strafzumessung in besonders schweren Fällen (Abs. 3)
- Qualifikation (Abs. 4)
- Rechtsgut
- Echtheit und Unverfälschtheit von Urkunden (Echtheitsschutz) und damit Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs
- Nicht: Inhalt von Urkunden (Wahrheitsschutz)
Abs. 1 enthält drei Alternativen des Grundtatbestandes:
-
- Verfälschen einer echten Urkunde (§ 267 I Var. 2)
Zuerst zu prüfen ist Var. 2, da es sich um einen Spezialfall (lex specialis) der Var. 1 handelt.
Der Täter wirkt auf eine bestehende, echte Urkunde ein. Dabei wird unter Erhaltung der Ausstellerangaben die inhaltliche Beweisrichtung verändert.
Durch die Beeinträchtigung des ursprünglichen Beweiswertes liegt i.d.R. gleichzeitig eine Urkundenunterdrückung (§ 274 I Nr. 1) vor.
- Herstellen einer unechten Urkunde (§ 267 I Var. 1)
Der Täter erstellt eine neue, unechte Urkunde.
- Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (§ 267 I Var. 3)
Der Täter gebraucht eine selbst oder von einem Dritten hergestellte verfälschte Urkunde.
Abs. 2 ordnet die Versuchsstrafbarkeit an.
Abs. 3 enthält Regelbeispiele für besonders schwere Fälle (Strafzumessung).
Abs. 4 enthält einen Qualifikationstatbestand.
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Tatobjekt
Urkunde = verkörperte (Perpetuierungsfunktion) menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion) und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion)
Um eine menschliche Gedankenerklärung handelt es sich bei Willensäußerungen von Menschen. Keine Urkunden sind demnach „technische Aufzeichnungen“ i.S.d. § 268 StGB (wie z.B. Röntgenaufnahmen).
Funktionen von Urkunden
Garantiefunktion
Die Urkunde muss ihren Aussteller erkennen lassen.
Aussteller ist, wem die Urkunde geistig zugerechnet werden kann (h.M. Geistigkeitstheorie) und nicht, wer die Urkunde körperlich hergestellt hat (a.A. Körperlichkeitstheorie). Die Zurechnung kann sich aus ausdrücklichen Merkmalen (z.B. Unterschrift / Stempel) oder aus den Umständen (z.B. Bierdeckel des Wirtes) ergeben.
Perpetuierungsfunktion
Die menschliche Gedankenerklärung muss in der Sache dauerhaft verkörpert sein.
Verkörpert = durch Zeichen oder Symbole stofflich fixiert und visuell wahrnehmbar
- Keine Urkunden, da nicht dauerhaft verkörpert, sind z.B. Tonbandaufnahmen und Daten i.S.d. § 269 StGB.
Beweisfunktion
-
Objektive Komponente
Urkunde ist objektiv zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet. Dies ist der Fall, wenn sie für sich alleine oder in Verbindung mit anderen Umständen bei der Überzeugungsbildung mitbestimmend ins Gewicht fallen kann.
-
Subjektive Komponente
Urkunde ist subjektiv zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt. Dies kann von Anfang an der Fall sein (Absichtsurkunde) oder erst nachträglich erfolgen (Zufallsurkunde).
Formen von Urkunden
Echte Urkunde
Echte Urkunde = Der erkennbare Aussteller ist auch der tatsächliche Aussteller der Urkunde.
Auch Urkunden mit unwahrem Inhalt (sog. ‚schriftliche Lügen‘) – wie z.B. eine Quittung über einen unzutreffend höheren Betrag – sind echte Urkunden (Arg.: Echtheitsschutz, kein Wahrheitsschutz).
Unechte Urkunde
Unechte Urkunde = Der erkennbare Aussteller ist nicht der tatsächliche Aussteller der Urkunde.
Bei Vertretung:
- h.M. Geistlichkeitstheorie: Zurechnung zum geistigen Urheber
- a.A. Körperlichkeitstheorie: Zurechnung zum körperlichen Hersteller
Zusammengesetzte Urkunde
Zusammengesetzte Urkunde = Beweiszeichen, das fest mit einem Augenscheinsbeweisobjekt verbunden ist und zusammen mit diesem eine Beweiseinheit bildet
- z.B.: Kennzeichen an KfZ; Preisschilder an Waren
- z.B. nicht: Plomben an Zählern (kein eigenständiges Beweiszeichen)
Gesamturkunde
Gesamturkunde = Mehrere einzelne Urkunden sind fest zusammen verbunden, sodass ein über die einzelnen Urkunden hinausgehender Erklärungsgehalt entsteht, der Abgeschlossenheit / Vollständigkeit zum Ausdruck bringt
- z.B. Personalakte
- z.B. nicht: Handakte eines Rechtsanwalts (nicht fest zusammen verbunden); Reisepass (bringt keine Abgeschlossenheit / Vollständigkeit der bereisten Länder zum Ausdruck)
Bei diesen Tatobjekten stellt die Gesamtheit ein eigenes Tatobjekt dar, sodass z.B. die Entfernung einzelner Elemente nicht nur eine Urkundenunterdrückung (§ 274 I Nr. 1), sondern auch ein Verfälschen einer echten Urkunde (§ 267 I Var. 2) darstellt.
Sind Fotokopien von Urkunden taugliche Tatobjekte?
Beispiel: A fertigt eine Fotokopie des Prädikatsexamens seines Freundes B an und legt dabei über die Personenangaben einen Zettel mit seinen eigenen Daten.
- e.A.: (–) Keine eigene Urkunde
(pro) Perpetuierungsfunktion: Keine eigene Verkörperung, sondern nur Zeugnis von der Existenz einer solchen; Beweisfunktion: Fotokopie kommt deutlich geringere Beweiskraft zu als Original; Garantiefunktion: Tatsächlicher Aussteller der Fotokopie nicht erkennbar
- a.A.: (+) Eigene Urkunde
(pro) Beweisfunktion: Fotokopie teilw. nicht vom Original zu unterscheiden und daher gleich hohe Beweiskraft (sog. Scheinurkunde); Garantiefunktion: Aussteller der Kopie zwar nicht erkennbar, aber i.d.R. der scheinbare Aussteller (im Bsp.: Justizprüfungsamt)
Tathandlung
Herstellen einer unechten Urkunde (Abs. 1 Var. 1)
Herstellen einer unechten Urkunde = Herstellen einer menschlichen Gedankenerklärung, die den Anschein erweckt, als stamme sie von einer anderen Person, als der tatsächlich ausstellenden
Wird durch den Gebrauch eines fremden Namens eine unechte Urkunde hergestellt?
-
e.A. Körperlichkeitstheorie: (+) Ja
Durch den Gebrauch eines fremden Namens wird stets eine unechte Urkunde hergestellt, da der erkennbare Aussteller nicht der körperliche Hersteller ist
-
h.M. Geistigkeitstheorie: (+/-) Differenzierend
Durch den Gebrauch eines fremden Namens wird keine unechte Urkunde hergestellt, wenn…
-
Tatsächliche Befugnis
…der Unterschreibende willens und befugt ist, den Namensträger zu vertreten, und dieser sich vertreten – und damit die Erklärung geistig zurechnen – lassen will.
z.B. der mit Prokura ausgestattete Bürokaufmann A versendet im Namen der Malermeisterin B eine Rechnung
-
Rechtliche Befugnis
…nicht Eigenhändigkeit rechtlich vorgeschrieben ist oder im Rechtsverkehr erwartet wird.
z.B. bei Anwälten in Fällen der §§ 172 II 2, 345 II StPO
-
Bloße Namenstäuschung
…kein Zweifel über die Person des Ausstellers besteht oder der wahre Name nach Interessenlage der Beteiligten bedeutungslos ist (sog. ‚Namenstäuschung‘; im Unterschied zur Identitätstäuschung, die die Urkunde unecht macht)
z.B. A checkt mit seiner Geliebten im Hotel C ein und unterschreibt nach Barzahlung mit „Max Mustermann“ (str., a.A.: nur kein Täuschungsvorsatz)
Verfälschen einer echten Urkunde (Abs. 1 Var. 2)
Verfälschen einer echten Urkunde = Jede nachträgliche Veränderung der menschlichen Gedankenerklärung, die den Anschein erweckt, der Aussteller hätte die Erklärung von Anfang an mit diesem Inhalt abgegeben
Beispiel: A ändert auf seinem Staatsexamenszeugnis die Note „ausreichend“ in ein „vollbefriedigend“.
Kann der ursprüngliche Aussteller eine Urkunde verfälschen?
Beispiel: A merkt nach Abgabe seiner Schwerpunktklausur, dass seine Ausführungen an einer Stelle unvertretbar sind. Er folgt der Prüfungsaufsicht und schleicht sich in das Zimmer des Prüfungsamtes, wo er die entsprechende Passage abändert.
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e.A. Echtheitsschutzlehre: (-) Strafbarkeit
Arg.: Der ursprüngliche Aussteller täuscht nicht über die Urheberschaft der Urkunde, sondern nur über die nicht vom Schutzgehalt des § 267 StGB umfasste inhaltliche Richtigkeit der Urkunde.
(pro) Telos: § 267 StGB gewährleistet keinen Wahrheitsschutz, sondern nur Echtheitsschutz; Systematik: Keine Strafbarkeitslücke, da dann i.d.R. Urkundenunterdrückung (§ 274 I Nr. 1 StGB).
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h.M. Bestandsschutzlehre: (+) Strafbarkeit
Arg.: Auch der ursprüngliche Aussteller kann seine eigene Urkunde verfälschen, wenn er seine Dispositionsbefugnis verloren hat, indem die Urkunde in den Rechtsverkehr gelangte.
(pro) Telos: Schutz der Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs; Systematik: Urkundenunterdrückung für diese Fälle nicht passend, da der Täter die Urkunde ja nicht unterdrücken, sondern gerade weiterhin im Rechtsverkehr behalten möchte.
Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (Abs. 1 Var. 3)
Gebrauchen = Urkunde wird dem zu Täuschenden so zugänglich gemacht, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat
- Zugänglichmachen = Gelangen in den Machtbereich
Es genügt die theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme; eine tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich.
Beispiel: A fährt mit seinem Sportwagen mit verfälschtem Nummernschild durch die Stadt, ohne dass jemand sein Nummernschild wahrnimmt.
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz
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- Beispiel 1: Gebürtiger Deutscher ohne jegliche juristischen Kenntnisse wirft Bierdeckel mit Strichen weg → (+) Strafbarkeit, da er zwar nicht die Definition einer „Urkunde“ i.S.d. § 274 StGB, aber die grundsätzliche Beweisfunktion des Bierdeckels kennt.
- Beispiel 2: Frisch zugezogener Ausländer aus anderem Kulturkreis wirft Bierdeckel mit Strichen weg → (–) Strafbarkeit, sofern er auch in der Laiensphäre die Bedeutung des Bierdeckels nicht kennt.
Absicht, im Rechtsverkehr zu täuschen
Absicht, im Rechtsverkehr zu täuschen (i.S.d. § 267 StGB) = Täter will einen Irrtum über die Echtheit der Urkunde erregen und den Getäuschten durch den gedanklichen Inhalt zu einem rechtserheblichen Verhalten bestimmen
- h.M.: Direkter Vorsatz / Wissentlichkeit (dolus directus 2. Grades) ausreichend. D.h. Täter kann auch einen außertatbestandlichen Erfolg anstreben, aber die Täuschung als sichere Folge voraussehen.
- Die Täuschung muss sich nicht objektiv vollziehen (überschießende Innentendenz).
Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Siehe für eine Übersicht der möglichen Rechtfertigungsgründe die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Schuld
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Strafzumessung in besonders schweren Fällen (Abs. 3)
Siehe Abs. 3.
Qualifikation (Abs. 4)
Ist die Qualifikation erfüllt, empfiehlt es sich die objektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem objektiven Tatbestand des Grunddeliktes und die subjektiven Qualifikationsmerkmale direkt nach dem subjektiven Tatbestand des Grunddeliktes zu prüfen.
Liegt eine Qualifikation nahe, ist diese aber letztlich nicht erfüllt, empfiehlt sich eine getrennte Prüfung.