Prüfungsschema zur Nötigung (§ 240 StGB): Täter nötigt eine andere Person mit Gewalt oder Drohung zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen.
Es handelt sich um einen offenen Tatbestand, bei dem die Rechtswidrigkeit nicht durch den Tatbestand indiziert ist, sondern im Rahmen einer Verwerflichkeitsprüfung festgestellt werden muss.
- Inhaltsverzeichnis
- Tatbestand
- Objektiver Tatbestand
- Nötigungshandlung
- Gewalt
- Drohung mit einem empfindlichen Übel
- Nötigungserfolg
- Kausalität und objektive Zurechnung
- Subjektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Allgemeine Rechtfertigungsgründe
- Verwerflichkeitsprüfung (Abs. 2)
- Schuld
- Strafzumessung bei besonders schweren Fällen (Abs. 4)
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Nötigungshandlung
Gewalt
Welcher Gewaltbegriff liegt § 240 StGB zu Grunde?
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e.A. (klassischer Gewaltbegriff)
Jede körperliche Kraftentfaltung, durch die körperlich wirkender Zwang beim Opfer entsteht, um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.
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a.A. (vergeistigter Gewaltbegriff)
Jede körperliche Handlung (unabhängig vom Maß der Kraftentfaltung), durch die körperlich oder psychisch wirkender Zwang beim Opfer entsteht, um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.
(con) Systematik: Unbestimmtheit (Art. 103 II GG)
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h.M. (moderner Gewaltbegriff)
Jede - über die bloße Anwesenheit (Sitzblockade) hinausgehende - körperliche Handlung (unabhängig vom Maß der Kraftentfaltung), durch die körperlich wirkender Zwang beim Opfer entsteht, um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.
Beispiele nach h.M.: Schläge, Deodorant ins Auge sprühen, Beibringen von K.O.-Tropfen in Kaffee, Abstellen der Heizung des Mieters im Winter
Umfasste Erscheinungsformen:
- vis compulsiva = willensbeugende Gewalt
z.B. auf das Opfer zustürmen, sodass es aus dem Fenster springt und
- h.M.: vis absoluta = willensbrechende Gewalt (str.)
z.B. Fesseln des Opfers (a.A. hier keine selbstständige Nötigungshandlung des Opfers mehr)
Drohung mit einem empfindlichen Übel
Drohung = Ausdrückliches oder konkludentes Inaussichtstellen eines künftigen empfindlichen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt
Empfindliches Übel = Jeder Nachteil für das Opfer, der so erheblich ist, dass nicht erwartet werden kann, ihm in besonnener Selbstbehauptung standzuhalten
Wann ist eine Drohung durch Unterlassen möglich?
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e.A.: Angekündigtes Unterlassen muss eine Rechtspflicht zum Handeln verletzen (insb. bei Garantenstellung sowie vertraglicher oder gesetzlicher Handlungspflicht)
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a.A.: Abhängig von der Verwerflichkeit des Unterlassens
Nötigungserfolg
Als Nötigungserfolg ist irgendein Handeln, Dulden oder Unterlassen gegen den Willen des Opfers erforderlich.
Kausalität und objektive Zurechnung
Gerade die dem Nötigungsmittel eigentümliche Kraft der Willensbeugung muss sich in der konkreten Handlung des Opfers niedergeschlagen haben.
Subjektiver Tatbestand
- h.M.: Zumindest Eventualvorsatz (dolus eventualis)
- a.A.: Absicht (dolus directus 1. Grades)
Rechtswidrigkeit
§ 240 StGB ist ein ‚offener Tatbestand‘, d.h. die Rechtswidrigkeit wird nicht bereits durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern muss positiv festgestellt werden.
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
Zunächst sind die allg. Rechtfertigungsgründe zu prüfen. Greift ein solcher, kann eine Tat auch nicht nach Abs. 2 verwerflich sein. Siehe hierzu die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Verwerflichkeitsprüfung (Abs. 2)
Die Verwerflichkeit ergibt sich weder aus einer isolierten Betrachtung des Mittels noch des Zweckes. Maßgeblich ist, eine Gesamtbetrachtung der Zweck-Mittel-Relation.
Verwerfliche Zweck-Mittel-Relation = Die Relation ist sozial unerträglich und wegen ihres grob anstößigen Charakters sozialethisch in besonderem Maße zu missbilligen.
- Indizien dafür: Das Mittel (Handlung) ist nach einer anderen Norm selbst mit Strafe bedroht; Missachtung des Gewaltmonopols des Staates.
- Indizien dagegen: Die Beeinträchtigung (Erfolg) hat Bagatellcharakter (Geringfügigkeitsprinzip); die Grundrechte des Täters überwiegen (z.B. Meinungs- oder Versammlungsfreiheit).
Schuld
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Strafzumessung bei besonders schweren Fällen (Abs. 4)
- Nötigung einer Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch (Nr. 1)
- Missbrauch der Befugnisse oder Stellung als Amtsträger (Nr. 2)