Prüfungsschema für das allgemeine Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 I GG, das es dem Staat verbietet, wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln, sofern hierfür keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung vorliegt.
- Inhaltsverzeichnis
- (Un-)Gleichbehandlung
- Bestimmung der rechtlich relevanten Person/Personengruppe/Situation
- Feststellung der (Un-)Gleichbehandlung
- Rechtfertigung
- Verfassungsmäßigkeit des (un)gleich behandelnden Gesetzes
- Formelle Verfassungsmäßigkeit
- Zuständigkeit: Gesetzgebungszuständigkeit
- Verfahren: Gesetzgebungsverfahren
- Form: Ausfertigung und Verkündung
- Materielle Verfassungsmäßigkeit
- Willkürformel
- Verhältnismäßigkeitsprüfung
- Legitimes Differenzierungsziel und -kriterium
- Geeignetheit
- Erforderlichkeit
- Angemessenheit
- Ggf. Verfassungsmäßigkeit des (un)gleich behandelnden Einzelaktes / Urteils
- Zweistufige Prüfung
Im Unterschied zu den Freiheitsgrundrechten erfolgt die Prüfung von Gleichheitsgrundrechten nicht dreistufig (Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung), sondern stets zweistufig (Ungleichbehandlung, Rechtfertigung).
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Konkurrenzen
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- Spezielle Gleichheitssätze
Sofern die jeweilige Frage inhaltlich durch speziellere Gleichheitsrechte geregelt ist, gehen diese dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG als lex specialis grds. vor . Vorrangig zu prüfen sind daher:
- Nach h.Lit. die speziellen Gleichheitsrechte aus Art. 3 II, III GG (str. s. Problembox unten)
- Verbot der Ungleichbehandlung unehelicher Kinder (Art. 6 V GG)
- Garantie der staatsbürgerlichen Gleichheit, insb. gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 GG)
- Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 GG)
- Wahlgleichheit (Art. 38 I 1 GG)
In welchem Verhältnis stehen die speziellen Gleichheitssätze (Art. 3 II, III GG) zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)?
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h.Lit: Die speziellen Gleichheitssätze der Art. 3 II, III GG verdrängen als eigenständige Grundrechte den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG als lex specialis.
→ Im Aufbau werden zunächst die speziellen Gewährleistungen der Art. 3 II, III GG als eigenständige Grundrechte angeprüft und bei Ablehnung ggf. der allg. Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG als eigenständiges Grundrecht geprüft.
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a.A. BVerfG: Nach Ansicht des BVerfG sind Art. 3 II und III GG hingegen keine eigenständigen Grundrechte, sondern Konkretisierungen des Art. 3 I GG, die i.R.d. Rechtfertigung der Prüfung nach Art. 3 I GG von Bedeutung sind.
→ Im Aufbau wird ein einheitliches Grundrecht aus Art. 3 GG geprüft und in der Rechtfertigung nach Art der Ungleichbehandlung differenziert.
(Un-)Gleichbehandlung
Bestimmung der rechtlich relevanten Person/Personengruppe/Situation
Zunächst wird untersucht, ob es sich bei den verglichenen Personen / Personengruppen / Situation um wesentlich Gleiches oder Ungleiches handelt.
Hierzu wird ein gemeinsamer Oberbegriff (tertium comparationis) für beide gebildet.
Beispiel: Bürger A zahlt für den Kauf eines Grundstücks in Hannover mehr Grunderwerbssteuer als Bürger B in Braunschweig; Gemeinsamer Oberbegriff: Grundstückskäufer
Feststellung der (Un-)Gleichbehandlung
Sodann wird festgestellt, ob bei wesentlich Gleichem eine Ungleichbehandlung vorliegt bzw. ob bei wesentlich Ungleichem eine Gleichbehandlung vorliegt.
Die (Un-)Gleichbehandlung muss jeweils durch denselben Hoheitsträger erfolgen.
Beispiel: Grunderwerbssteuer in Hannover und Braunschweig, jeweils durch das Land Niedersachsen; Nicht: Grunderwerbssteuer in Hannover und Stuttgart durch unterschiedliche Länder
Umfasst Art. 3 I GG Inländerdiskriminierungen beim Vergleich EU-Bürger/Inländer?
Beispiel: In Deutschland muss Margarine anders verpackt werden als Butter, um Verbraucher nicht zu verwirren. Wegen der EU-Warenverkehrsfreiheit gilt dies jedoch nicht für ausländische Margarine-Hersteller.
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h.M.: (-) Keine Ungleichbehandlung durch denselben Hoheitsträger (EU und BRD)
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a.A.: (+) Zuordnung der EU-Warenverkehrsfreiheit zur BRD, sodass die Ungleichbehandlung durch denselben Hoheitsträger erfolgt
Rechtfertigung
Es handelt sich beim allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG um kein striktes Differenzierungsverbot. (Un-)Gleichbehandlungen können gerechtfertigt sein.
Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu Art. 3 III GG, der ein Differenzierungsverbot aufgrund der dort aufgeführten Merkmale enthält und sonst überflüssig wäre.
Verfassungsmäßigkeit des (un)gleich behandelnden Gesetzes
Formelle Verfassungsmäßigkeit
→ Ausführlich hierzu das Prüfungsschema Gesetzgebungsverfahren.
Zuständigkeit: Gesetzgebungszuständigkeit
Verfahren: Gesetzgebungsverfahren
Form: Ausfertigung und Verkündung
Materielle Verfassungsmäßigkeit
Welcher Rechtfertigungsmaßstab ist i.R.d. Art. 3 I GG anzuwenden?
Die Rechtsprechung der letzten Jahre ist diesbezüglich nicht einheitlich und befindet sich im Wandel.
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e.A. (alt, heute kaum mehr vertreten): Stets lediglich Willkürkontrolle ('Willkürformel')
Willkürformel: Die Differenzierung darf (nur) nicht willkürlich sein, d.h. es muss einen sachlich / sachbezogen einleuchtenden Grund für sie geben. Andersherum ausgedrückt ist die Ungleichbehandlung willkürlich, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt.
- a.A.: Stets Verhältnismäßigkeitsprüfung ('neue Formel')
Eine Gruppe darf im Vergleich zu einer anderen Gruppe nicht anders behandelt werden, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. In der Prüfung bedeutet dies eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.
- h.M. (BVerfG heute): Nicht abstrakte, feste, sondern individuelle, stufenlose Maßstabsbildung zwischen lediglich Anwendung der Willkürformel bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung je nach Intensität der Ungleichbehandlung ('Stufenlos-Formel')
Die Maßstabsbildung erfolgt im Sinne eines stufenlosen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes individuell und richtet sich nach der Intensität der Ungleichbehandlung. Der mögliche Maßstab reicht somit von der bloßen Anwendung der Willkürformel bei Ungleichbehandlungen von geringer Intensität bis hin zu einer vollumfänglichen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Ungleichbehandlungen mit größerer Intensität.
Folgt man der h.M., lassen sich folgende Indizien zur Bestimmung der Intensität und somit des Maßstabes heranziehen:
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Geringe Intensität
→ Willkürformel
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Größere Intensität
→ Verhältnismäßigkeit
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Personelle Auswirkung
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Sachliche / sachbezogene Ungleichbehandlung
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Personelle / personenbezogene Ungleichbehandlung
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Beeinflussbarkeit
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Betroffener kann Kriterium beeinflussen
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Betroffener kann Kriterium nicht beeinflussen
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Differenzierungskriterium
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Neutrales Kriterium
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Kriterium ähnelt jenen des Art. 3 III GG
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Auswirkung auf Wahrnehmung anderer Grundrechte
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Geringe Auswirkung
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Größere Auswirkung
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Beispiel für Ungleichbehandlung geringer Intensität: Bereich der Leistungsverwaltung, wie insb. Subventionen für best. Vorhaben
Willkürformel
Willkürformel = Die Ungleichbehandlung ist willkürlich, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt.
Andersherum ausgedrückt, muss zur Rechtfertigung lediglich irgendein sachlich / sachbezogen, einleuchtender Grund vorliegen.
Verhältnismäßigkeitsprüfung
Legitimes Differenzierungsziel und -kriterium
Differenzierungsziel und -kriterium müssen verfassungsrechtlich legitim sein.
Geeignetheit
Die (Un-)Gleichbehandlung muss geeignet sein, das Ziel zu erreichen.
Erforderlichkeit
Es darf kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels geben.
Angemessenheit
Die Intensität der (Un-)Gleichbehandlung muss in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der (Un-)Gleichbehandlung verfolgten Ziel stehen.
Ggf. Verfassungsmäßigkeit des (un)gleich behandelnden Einzelaktes / Urteils