Prüfungsschema für das Grundrecht ‚Allgemeines Persönlichkeitsrecht' (APR, Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) als Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.
Vom Schutzbereich umfasst sind insb. das Recht zur Selbstdefinition (teilw.: Selbstbestimmung), Selbstdarstellung und Selbstbewahrung (Privatsphäre).
Ausprägungen des APR (bzw. nach a.A. eigenständige Grundrechte) stellen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das „Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme" (teilw. auch: IT-Grundrecht oder Computer-Grundrecht) dar.
Das APR ist ein ‚Jedermanngrundrecht‘ (auch ‚Menschenrecht‘), auf das sich alle natürlichen Personen – unabhängig von ihrer Nationalität – berufen können.
Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lässt sich – ähnlich wie jener der allgemeinen Handlungsfreiheit – aufgrund seiner lückenschließenden Gewährleistung nicht abschließend bestimmen. Im Kern steht das Recht des Einzelnen, seine Individualität selbstbestimmt zu entwickeln, darzustellen und zu wahren. Ohne dass dem irgendeine abschließende Funktion zukommt, nimmt die Literatur zur besseren Anschauung häufig eine Untergliederung in drei Ausprägungen vor:
Zur Selbstdefinition gehört insbesondere die Ausgestaltung der eigenen Persönlichkeit.
Nicht abschließende, beispielhafte, in der Rspr. anerkannte Ausprägungen sind:
Die Selbstdefinition / Selbstbestimmung als ein Teil des Schutzbereichs hier ist nicht zu verwechseln mit dem mehr oder weniger verselbstständigten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (dazu unten).
Zur Selbstdarstellung gehört insbesondere das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.
Nicht abschließende, beispielhafte, in der Rspr. anerkannte Ausprägungen sind das:
Sonderfall: Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Hintergrund
Vor dem Hintergrund der besonderen Gefahren automatischer Datenverarbeitung hat das BVerfG im Volkszählungsurteil (1983) das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als mehr oder weniger verselbstständigte Ausprägung des APR abgeleitet.
Sachlicher Schutzbereich
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Vom Schutzbereich sind personenbezogene Daten erfasst, unabhängig davon, wie (un)sensibel diese sind oder ob sie öffentlich (un)zugänglich sind..
In der Literatur wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung teilweise als Unterfall des APR, teilweise als eigenständiges Grundrecht dargestellt und aufgebaut. Entsprechend kann sich auch in der Klausur für eine Variante entschieden werden.
Zur Selbstbewahrung gehört insbesondere das
Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre
Umfasst ist der Schutz eines eigenen autonomen Bereichs privater Lebensgestaltung – in dem der Einzelne sich so verhalten kann, wie er möchte, sowie seine Individualität entwickeln und wahren kann – vor einem Eindringen oder Einblicken durch Dritte. Dies wird oft auch umschrieben als ‚Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre‘.
Beispiele: der familiäre Bereich, das eigene Geschlechtsleben
Das Recht auf Privat- und Intimsphäre als Teil des Schutzbereichs gilt es nicht zu verwechseln mit der – erst auf Ebene des Eingriffs bzw. dessen Rechtfertigung relevanten – Sphärentheorie, s.u.).
Hintergrund
Vor dem Hintergrund der immer umfangreicheren Speicherung persönlichkeitsrelevanter Informationen auf Computern und mobilen Endgeräten (bzw. dem Zugriff auf Clouds über diese) hat das BVerfG im Urteil zu Online-Durchsuchungen (2008) das „Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme" (teilw. auch: IT-Grundrecht oder Computer-Grundrecht) als mehr oder weniger verselbstständigte Ausprägung des APR abgeleitet.
In der Literatur wird das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme teilweise als Unterfall des APR, teilweise als eigenständiges Grundrecht dargestellt und aufgebaut. Entsprechend kann sich auch in der Klausur für eine Variante entschieden werden.
Zuerst sollte das Vorliegen eines ‚klassischen Eingriffs‘ geprüft werden; nur wenn ein Merkmal nicht erfüllt ist, sollte auf den ‚modernen Eingriffsbegriff‘ eingegangen werden. Siehe hierzu ausführlich das Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte.
Eingriff = Jedes staatliche Handeln, das zur Beeinträchtigung des Schutzbereiches führt und nach dem …
Besonderheiten beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Jede Erhebung, Speicherung und Verwendung von Daten stellt einen eigenen Grundrechtseingriff dar, der einer separaten Rechtfertigung bedarf.
Das APR enthält die gleichen drei Tatbestände möglicher Grundrechtseinschränkungen (Schranken): „die Rechte anderer", „die verfassungsmäßige Ordnung" sowie „das Sittengesetz" (sog. Schrankentrias) wie die allgemeine Handlungsfreiheit. Praktische Bedeutung erlangt auch hier lediglich die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung", da die anderen Schranken in dieser aufgehen. Zur verfassungsmäßigen Ordnung zählen nicht nur die Normen des Grundgesetzes, sondern alle im Einklang mit der Verfassung stehenden Normen.
Die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" wird in der Klausur daher in aller Regel wie ein einfacher Gesetzesvorbehalt (→ siehe Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte) zu prüfen sein.
Bei einem Eingriff durch Gesetz ist im Folgenden die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu prüfen (einstufiger Aufbau). Bei einem Eingriff aufgrund eines Gesetzes ist anschließend zusätzlich der Eingriffsakt zu prüfen (mehrstufiger Aufbau). (→ siehe ausführlich Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte).
Detailliert: Siehe das Schema Gesetzgebungsverfahren.
Legitimer Zweck
Grds. jedes öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist.
Geeignetheit
Das Ziel kann grundsätzlich durch das Mittel erreicht werden.
Erforderlichkeit
Es existiert kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels.
Angemessenheit: Sphärentheorie
Hier liegt in aller Regel der Schwerpunkt der Klausur. Dies sollte bei der Zeiteinteilung unbedingt berücksichtigt werden.
Sphärentheorie: Die Anforderungen an die Angemessenheit hängen von der Intensität des Eingriffs ab. Die Intensität kann u.a. nach der betroffenen Sphäre bestimmt werden:
Rechtfertigung bei Eingriffen in die Sozialsphäre
Sozialsphäre = Bereich, in dem sich der Mensch als soziales Wesen im Austausch mit anderen Menschen befindet.
Bsp.: Ausübung des Berufs, ehrenamtliche Tätigkeiten, Hobbys
Rechtfertigung: allgemeine Angemessenheitsprüfung ohne besondere Anforderungen.
Rechtfertigung bei Eingriffen in die Privatsphäre
Privatsphäre =
Bsp. für thematische Privatsphäre: Private Gespräche im öffentlichen Restaurant über die eigene Sexualität
Rechtfertigung: Eingriff nur bei überwiegenden Interessen der Allgemeinheit unter strenger Wahrung der Verhältnismäßigkeit.
Rechtfertigung bei Eingriffen in die Intimsphäre (Kernbereich privater Lebensgestaltung)
Intimsphäre =
Bsp.: Äußerung intimster Gefühle, Ausdrucksformen der Sexualität, Verwertung von Tagebüchern mit höchstpersönlichem Inhalt, Rundumüberwachung (etwa in Psychiatrie)
Rechtfertigung: Keine Rechtfertigung eines Eingriffs möglich, da Ausdruck der unantastbaren Menschenwürde (Art. 1 I GG) und Schutz des Wesensgehalts (Art. 19 III GG).
Aufweichung der Sphärentheorie aufgrund unvermeidbarer Eingriffe in die Intimsphäre bei Auswertungen größer (insbesondere digitaler) Datenmengen
Bevor der Staat feststellen kann, welcher Sphäre ein Inhalt zuzuordnen ist, hat er diesen oftmals bereits erhoben (was einen eigenen Eingriff darstellt). Für die Feststellung ist dann eine Sichtung des Inhalts erforderlich (was einen erneuten Eingriff darstellt).
Beispiele: Infiltration eines PCs und anschließendes Filtern der erlangten Daten nach Informationen über Verbrechen, wobei auch pornografische Bilder aus der absolut geschützten Intimsphäre gefunden werden.
Bei strenger Anwendung der Sphärentheorie wären dies unter Umständen zwei nicht rechtfertigbare Eingriffe in die Intimsphäre. Die Sphärentheorie befindet sich daher zunehmend in Auflösung. In Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das IT-Grundrecht sieht das BVerfG in im Informationszeitalter oft unvermeidbaren Eingriffen in die Intimsphäre daher nicht stets eine Grundrechtsverletzung an, sofern insbesondere die nachfolgenden zusätzlichen Voraussetzungen gegeben sind (nicht abschließend und auch vom konkreten Einzelfall abhängig):
Urteil oder Maßnahmen aufgrund des Gesetzes.