Prüfungsschema für das Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 I GG) als Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.
Handelt es sich bei der Menschenwürde um ein Grundrecht?
e.A.: (–) Nein
(pro) Wortlaut: Art. 1 I GG enthält eher einen programmatischen Charakter als individuelle Ansprüche; Systematik: In Art. 1 III GG heißt es, dass „die nachfolgenden Grundrechte“ die drei Gewalten binden, was so verstanden wird, dass Art. 1 I GG keins ist.
BVerfG und h.L.: (+) Ja
(pro) Systematik: Art. 1 GG steht unter der Überschrift „I. Die Grundrechte“; Art. 142 GG geht davon aus, dass in den „Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte“ enthalten sind; Historie: Aufgrund der menschenverachtenden staatlichen Handlungen im Dritten Reich sollte die Menschenwürde eine besonders stark ausgeprägte Stellung erhalten.
Die Menschenwürde ist ein ‚Jedermanngrundrecht‘ (auch ‚Menschenrecht‘), auf das sich alle natürlichen Personen – unabhängig von ihrer Nationalität – berufen können.
In zeitlicher Hinsicht ist die subjektive Grundrechtsfähigkeit des werdenden Lebens (‚nasciturus‘) hochumstritten. Der Staat ist jedoch nach Auffassung des BVerfG bereits aufgrund des objektiv-rechtlichen Schutzgehaltes der Menschenwürde zu dessen Schutz verpflichtet. Dieser Schutz geht auch über den Tod des Menschen hinaus.
Juristische Personen können sich nicht auf die Menschenwürde berufen, da diese nicht ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist, sondern an natürliche Qualitäten des Menschen bzw. das „Menschsein" an sich anknüpft (‚wesensmäßige Anwendbarkeit‘). Siehe hierzu auch das Schema Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Art. 19 III GG.
Aufgrund der philosophischen Dimension des Begriffs der Menschenwürde ist der Schutzbereich des Art. 1 I GG besonders schwer zu bestimmen. Es gibt im Kern drei vorherrschende Theorien:
Christliche Lehre, Immanuel Kant: Mitgifttheorie
Geschützt ist der dem Menschen von Gott oder der Natur mitgegebene Wert, der insb. in seiner Vernunftbegabtheit sowie seiner Willens- und Entscheidungsfreiheit besteht
(pro) Historie: Den Ausarbeitungen im Parlamentarischen Rat lag diese Theorie maßgeblich zugrunde.
a.A.: Leistungstheorie
Schutzbereich: Geschützt ist die Würde, die der Mensch sich aufgrund seiner selbstbestimmten Identitätsbildung erarbeitet hat.
(pro) Systematik: Auch der Schutzbereich anderer Freiheitsgrundrechte hängt letztlich von dessen individueller Wahrnehmung ab.
(con) Telos: Dann geringerer Schutz von Neugeborenen oder geistig / körperlich eingeschränkten Menschen.
BVerfG: Anerkennungstheorie
Geschützt ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen bereits wegen seines Menschseins um seiner selbst willen (unabhängig von seiner Leistung) zukommt. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen. Sie ist auch nicht persönlich abdingbar (disponibel).
(pro): Telos: Die Menschenwürde ist - im Unterschied zur Leistungstheorie - auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann oder neu auf die Welt kam und sich noch nichts erarbeitet hat.
Ein Eingriff liegt immer dann vor, wenn der Mensch zum Objekt staatlichen Handelns gemacht wird und ihm so seine Menschenqualität abgesprochen wird (Objektformel).
Beispiele:
Kaum vertretene a.A.: Die Menschenwürde ist abwägungsfähig
Bsp.: Mordfall Jakob von Metzler bei dem der Polizeibeamte dem Mörder Gäfgen in der Vernehmung mit Folter droht.
In der Klausur ist dieser Prüfungspunkt lediglich kurz anzusprechen und die Prüfung dann mit der h.M. nach der knappen Feststellung, dass keine Rechtfertigung möglich ist, zu beenden.