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GG  
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Öffentliches RechtVerfassungsrecht

Staatsrecht I: Staatsorganisationsrecht

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.
(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.
(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.
(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.
(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.
(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.
(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.
(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Quelle: BMJ
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Menschenwürde (Art. 1 I GG)

Prüfungsschema für das Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 I GG) als Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.

 

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Schutzbereich
  3. Persönlich
  4. Natürliche Personen
  5. Juristische Personen
  6. Sachlich
  7. Eingriff
  8. Rechtfertigung

 

Handelt es sich bei der Menschenwürde um ein Grundrecht?

  • e.A.: (–) Nein
    (pro) Wortlaut: Art. 1 I GG enthält eher einen programmatischen Charakter als individuelle Ansprüche; Systematik: In Art. 1 III GG heißt es, dass „die nachfolgenden Grundrechte“ die drei Gewalten binden, was so verstanden wird, dass Art. 1 I GG keins ist.

  • BVerfG und h.L.: (+) Ja
    (pro) Systematik: Art. 1 GG steht unter der Überschrift „I. Die Grundrechte“; Art. 142 GG geht davon aus, dass in den „Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte“ enthalten sind; Historie: Aufgrund der menschenverachtenden staatlichen Handlungen im Dritten Reich sollte die Menschenwürde eine besonders stark ausgeprägte Stellung erhalten. 

 

Schutzbereich

Persönlich

Natürliche Personen

Die Menschenwürde ist ein ‚Jedermanngrundrecht‘ (auch ‚Menschenrecht‘), auf das sich alle natürlichen Personen – unabhängig von ihrer Nationalität – berufen können.

In zeitlicher Hinsicht ist die subjektive Grundrechtsfähigkeit des werdenden Lebens (‚nasciturus‘) hochumstritten. Der Staat ist jedoch nach Auffassung des BVerfG bereits aufgrund des objektiv-rechtlichen Schutzgehaltes der Menschenwürde zu dessen Schutz verpflichtet. Dieser Schutz geht auch über den Tod des Menschen hinaus. 

Juristische Personen

Juristische Personen können sich nicht auf die Menschenwürde berufen, da diese nicht ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist, sondern an natürliche Qualitäten des Menschen bzw. das „Menschsein" an sich anknüpft (‚wesensmäßige Anwendbarkeit‘). Siehe hierzu auch das Schema Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Art. 19 III GG.

 

Sachlich

Aufgrund der philosophischen Dimension des Begriffs der Menschenwürde ist der Schutzbereich des Art. 1 I GG besonders schwer zu bestimmen. Es gibt im Kern drei vorherrschende Theorien:

  • Christliche Lehre, Immanuel Kant: Mitgifttheorie
    Geschützt ist der dem Menschen von Gott oder der Natur mitgegebene Wert, der insb. in seiner Vernunftbegabtheit sowie seiner Willens- und Entscheidungsfreiheit besteht 
    (pro) Historie: Den Ausarbeitungen im Parlamentarischen Rat lag diese Theorie maßgeblich zugrunde. 

  • a.A.: Leistungstheorie
    Schutzbereich: Geschützt ist die Würde, die der Mensch sich aufgrund seiner selbstbestimmten Identitätsbildung erarbeitet hat.
    (pro) Systematik: Auch der Schutzbereich anderer Freiheitsgrundrechte hängt letztlich von dessen individueller Wahrnehmung ab.
    (con) Telos: Dann geringerer Schutz von Neugeborenen oder geistig / körperlich eingeschränkten Menschen.

  • BVerfG: Anerkennungstheorie
    Geschützt ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen bereits wegen seines Menschseins um seiner selbst willen (unabhängig von seiner Leistung) zukommt. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen. Sie ist auch nicht persönlich abdingbar (disponibel).
    (pro): Telos: Die Menschenwürde ist - im Unterschied zur Leistungstheorie - auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann oder neu auf die Welt kam und sich noch nichts erarbeitet hat. 

 

 

Eingriff

Ein Eingriff liegt immer dann vor, wenn der Mensch zum Objekt staatlichen Handelns gemacht wird und ihm so seine Menschenqualität abgesprochen wird (Objektformel).

Beispiele: 

  • Sklaverei, Folter, Zwergenweitwurf (Weitwurf eines kleinwüchsigen Menschen) , öffentliche Erniedrigung / Brandmarkung; Entzug des Existenzminimums; Abschuss eines entführten Flugzeugs mit unbeteiligten Passagieren zur Terrorabwehr
  • Nicht: Finaler Rettungsschuss gegenüber dem Geiselnehmer (Arg.: Die Ausführungshandlung der Tötung per Schuss ist nicht menschenunwürdig; Maßstab ist daher das Recht auf Leben aus Art. 2 II 1 GG; str.); Leichenöffnung im Ermittlungsverfahren oder zu medizinischen Schauzwecken (‚Körperwelten‘) ; „Kind als Schaden" (d.h. Schadensersatzansprüche gegen Ärzte wegen etwa fehlgeschlagener Sterilisation oder fehlerhafter genetische Beratung; Arg. BGH und BVerfG: Schaden ist nicht die Existenz des Kindes per se, sondern die durch seine Geburt bedingten Unterhaltszahlungen; str.) 

 

 

Rechtfertigung

  • Ganz h.M.: Die Menschenwürde ist gem. Art. 1 I GG „unantastbar“. Dies bedeutet, dass Eingriffe niemals rechtfertigbar sind (weder durch formelle Parlamentsgesetze noch durch kollidierendes Verfassungsrecht). Art. 1 I GG ist zudem über die ‚Ewigkeitsgarantie‘ des Art. 79 III GG vor Abänderungen geschützt. Das BVerfG führt dazu aus: „In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert.“
    (pro) Klarer Wortlaut
  • Kaum vertretene a.A.: Die Menschenwürde ist abwägungsfähig
    Bsp.: Mordfall Jakob von Metzler bei dem der Polizeibeamte dem Mörder Gäfgen in der Vernehmung mit Folter droht.

In der Klausur ist dieser Prüfungspunkt lediglich kurz anzusprechen und die Prüfung dann mit der h.M. nach der knappen Feststellung, dass keine Rechtfertigung möglich ist, zu beenden.

 

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