Prüfungsschema zur Anfechtung eines Vertrages wegen Eigenschaftsirrtums (§ 119 II BGB), wodurch dieser als von Anfang an (ex tunc) nichtig anzusehen ist (§ 142 I BGB).
- Inhaltsverzeichnis
- Anfechtungserklärung (§ 143 BGB)
- Anfechtungsgrund (§ 119 II BGB)
- Anwendbarkeit des § 119 II BGB
- Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache oder Person
- Kausalität des Irrtums (§ 119 I a.E. BGB)
- Kein Ausschluss
- Keine Bestätigung des Rechtsgeschäfts (§ 144 BGB)
- Keine Verfristung (§ 121 BGB)
- Unverzügliche Absendung der AnfErkl (§ 121 I BGB)
- Kein Verstreichen von 10 Jahren (§ 121 II BGB)
- Rechtsfolgen
- Ex tunc
- Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 BGB)
Die erfolgreiche Anfechtung einer Willenserklärung (WE) führt gem. § 142 I BGB grds. dazu, dass diese als von Anfang an (ex tunc) nichtig anzusehen ist. Die Prüfung erfolgt daher bei Ansprüchen üblicherweise unter dem Prüfungspunkt „Anspruch entstanden“. Da der Anspruch tatsächlich bis zur erfolgten Anfechtung bestanden hat, ist auch eine Prüfung unter dem Punkt „Anspruch nicht erloschen“ vertretbar.
Praktische Auswirkungen hat der Prüfungsstandort nicht. Sofern im Anschluss Kondiktionsansprüche geprüft werden, sollte aber im Einklang mit der Einordnung im ersten Fall eine condictio indebiti nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB geprüft werden und in letzterem Fall eine condictio ob causam finitam nach § 812 I 2 Alt. 1 BGB.
Anfechtungserklärung (§ 143 BGB)
Bei der Anfechtungserklärung (AnfErkl) handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige WE.
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Bedingungsfeindlichkeit
Als Gestaltungserklärung ist die AnfErkl bedingungsfeindlich. Zulässig ist aber die Anfechtung unter einer sog. innerprozessualen Rechtsbedingung, bei der die Anfechtung - anders als § 158 BGB - für den Fall einer bestimmten rechtlichen Beurteilung (durch ein Gericht) vorgenommen wird. Bsp.: Anfechtung für den Fall, dass überhaupt ein Vertrag zu Stande gekommen ist.
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Adressat
Die Erklärung erfolgt gegenüber dem Anfechtungsgegner. Dies ist grds. der Erklärungsempfänger, bei Verträgen der Vertragspartner.
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Form
Die AnfErkl ist nicht formgebunden und muss den Begriff ‚Anfechtung‘ nicht enthalten. Sie muss aber zu erkennen geben, dass der Anfechtende die WE wegen Willensmängeln nicht gegen sich gelten lassen möchte.
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Begründung (str., s. Problembox)
Ist die Angabe des Anfechtungsgrundes erforderlich?
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h.M. BGH: (+) Ja
Der Anfechtende muss die der Anfechtung zugrunde liegenden Tatsachen nennen, sofern sich der Grund nicht bereits aus den Umständen ergibt oder dem Anfechtungsgegner bekannt ist.
(pro) Anderweitig ist der Anfechtungsgegner nicht in der Lage, die Berechtigung der Anfechtung zu überprüfen.
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a.A. RG: (-) Nein
Die Anfechtung ist auch ohne Angabe von zugrunde liegenden Tatsachen wirksam.
(pro) Wortlaut: § 143 BGB nennt dieses Erfordernis nicht.
(pro) Systematik: Anderweitig macht der Gesetzgeber spezialgesetzliche Vorgaben zur Begründung (z.B. in §§ 573 III, 574 III BGB, § 102 BetrVG)
Anfechtungsgrund (§ 119 II BGB)
Anwendbarkeit des § 119 II BGB
Die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (nicht wegen anderer Anfechtungsgründe) kann im Rahmen der Spezialität von vorrangigen Regelungen verdrängt sein:
- Vorrang des Gewährleistungsrechts: bei Austauschverträgen (Kauf-, Werk- und Mietvertrag) enthält das Mängelgewährleistungsrecht vorrangige Regelungen
- Gemeinschaftlicher Irrtum: grds. § 313 BGB vorrangig
Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache oder Person
Im Rahmen der Irrtumsanfechtung ist der tatsächliche Sachverhalt, d.h. der objektive Inhalt einer Willenserklärung, durch Auslegung (siehe Schema bei § 133 BGB) zu ermitteln.
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Irrtum = Auseinanderfallen von vorgestelltem und tatsächlichem Sachverhalt
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Eigenschaft = alle rechtlichen oder tatsächlichen Merkmale, die einer Sache oder Person unmittelbar und für eine gewisse Dauer anhaften und für die Wertbildung von Bedeutung sind (nicht aber der Preis selbst!)
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Verkehrswesentlich = sind solche Eigenschaften, die nach der Verkehrsauffassung für das jeweilige Rechtsgeschäft von Bedeutung sind oder von den Parteien bei Vertragsschluss übereinstimmend als wesentlich angesehen werden
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Sache = nicht nur Sachen i.S.v. § 90 BGB; umfasst sind auch Rechte und sonstige Gegenstände i.S.d. § 453 I BGB,
z.B. Strom, Wärme oder Sach- und Rechtsgesamtheiten wie Unternehmen
Kausalität des Irrtums (§ 119 I a.E. BGB)
Der Irrtum muss kausal für die Abgabe der WE gewesen sein. Die h.M. wendet diese Voraussetzung aus § 119 I a.E. BGB auch auf den Anfechtungsgrund in § 119 II BGB an.
Kein Ausschluss
Keine Bestätigung des Rechtsgeschäfts (§ 144 BGB)
Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Anfechtende das Rechtsgeschäft in Kenntnis aller Anfechtungsgründe bestätigt hat. Strittig ist, ob die Bestätigung zugangsbedürftig ist.
Keine Verfristung (§ 121 BGB)
Unverzügliche Absendung der AnfErkl (§ 121 I BGB)
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Die Anfechtung wegen Irrtums muss unverzüglich erfolgen (§ 121 I BGB); die Erklärung muss nicht sofort, aber ohne schuldhaftes Zögern erklärt werden; dem Anfechtenden steht hierbei eine von den Umständen abhängende Prüfungs- und Überlegungsfrist zu.
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Die Frist beginnt mit Kenntnis der Tatsachen, die jeweils zur Anfechtung berechtigen; fahrlässige Unkenntnis genügt nach h.M. nicht.
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Beachte die Möglichkeit der Zurückweisung einseitiger Rechtsgeschäfte gem. § 174 BGB, wenn die Anfechtung durch einen bevollmächtigten Stellvertreter erfolgt; eine erneute Anfechtung ist dann i.d.R. nicht mehr unverzüglich.
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Für die Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung der AnfErkl (§ 121 I 2 BGB); Wirksamwerden aber erst mit Zugang; geht die AnfErkl nach Absendung verloren, muss der Erklärende sie unverzüglich erneut absenden.
Kein Verstreichen von 10 Jahren (§ 121 II BGB)
Auch bei Unkenntnis vom Anfechtungsgrund ist die Anfechtung 10 Jahre nach Abgabe der ursprünglichen Erklärung ausgeschlossen.
Rechtsfolgen
Ex tunc
- Die angefochtene WE wird so behandelt, als wäre sie von Anfang (ex tunc) nichtig.
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Bei bereits vollzogenen Arbeits- oder Gesellschaftsverträgen tritt die Nichtigkeit grds. erst mit der Anfechtungserklärung ein (ex nunc), da eine Rückabwicklung regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist; dies gilt nicht, wenn die Rückabwicklung einfach möglich ist oder vorrangige Interessen wie der Schutz Minderjähriger betroffen sind.
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Bei Teilnichtigkeit richten sich die Folgen nach § 139 BGB.
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Sofern die Anfechtung zur Nichtigkeit eines Verpflichtungsgeschäfts führt, bleibt das Verfügungsgeschäft hiervon zunächst unberührt (Trennungs- & Abstraktionsprinzip). Eine Rückabwicklung erfolgt i.d.R. über §§ 812 ff. BGB.
Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 BGB)
- Der Anfechtende hat dem Erklärungsempfänger den Schaden zu ersetzen, den er durch das Vertrauen auf die Gültigkeit der WE erlitten hat (Vertrauensschaden); d.h. der Erklärungsempfänger ist so zu stellen, als hätte er nie von der Willenserklärung erfahren (negatives Interesse) (§ 122 I BGB).
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Der Erklärungsempfänger ist aber nicht besser zu stellen, als er bei Wirksamkeit der WE stünde (Begrenzung auf das positive Interesse) (§ 122 I BGB).
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Ausschluss des Schadensersatzes, wenn der Geschädigte die zur Anfechtung berechtigenden Tatsachen kannte oder durch Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste) (§ 122 II BGB).