StGB Strafgesetzbuch
Strafrecht AT
- 1.
- jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
- a)
- sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
- b)
- unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
- c)
- den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
- der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
- 3.
- er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
- 4.
- die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Entschuldigender Notstand (§ 35 StGB)
Prüfungsschema zum entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB): Hiernach wird nicht bestraft, wer nur durch eine Straftat eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit von sich, einem Angehörigen oder Nahestehenden abwenden kann.
Es handelt sich hierbei um einen strafrechtlichen Entschuldigungsgrund.
- Inhaltsverzeichnis
- Objektive Voraussetzungen
- Notstandslage
- Gegenwärtige Gefahr
- Notstandsfähiges Rechtsgut
- Notstandshandlung
- Geeignetheit
- Erforderlichkeit
- Unzumutbarkeit der Gefahrhinnahme (§ 35 I 2 StGB)
- Subjektive Voraussetzungen
- Kenntnis der Notstandslage
- Gefahrabwendungswille
- Strafzumessung und Strafaufhebung
Objektive Voraussetzungen
Notstandslage
Notstandslage i.S.d. § 35 StGB = Gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Täters, eines Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person
Gegenwärtige Gefahr
Gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 35 StGB = Zustand, der bei ungehinderter Weiterentwicklung aus ex-ante Sicht eines objektiven Beobachters jederzeit in einen Schaden umschlagen kann (Schadenseintritt liegt nahe)
-
Zeitliche Komponente
Mit Verwirklichung der Gefahr ist alsbald zu rechnen.
Die Definition ist erheblich weiter als bei Notwehr (§ 32 StGB); sie ist gleich wie beim rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB).
Notstandsfähiges Rechtsgut
Notstandsfähige Rechtsgüter i.S.d. § 35 StGB sind:
- Leben (= durch §§ 211 ff. geschütztes Leben),
- Leib (= durch §§ 223 ff. StGB geschützte körperliche Unversehrtheit) und
- Freiheit (= nur die durch § 239 StGB geschützte Fortbewegungsfreiheit)
Umfasst sind lediglich diese elementaren, höchstpersönlichen, durch Art. 2 II GG geschützten Rechtsgüter (sog. numerus clausus der notstandsfähigen Rechtsgüter). Keine analoge Anwendung auf weitere Rechtsgüter.
Es muss sich dabei jeweils um Rechtsgüter eines Angehörigen (Legaldefinition in § 11 I Nr. 1 StGB) oder einer anderen nahestehenden Person (Person, mit der ein gegenseitiges Näheverhältnis besteht, das in Dauer und Intensität dem zu einem Angehörigen vergleichbar ist) handeln.
Notstandshandlung
Geeignetheit
Die Notstandshandlung muss geeignet sein, die Gefahr für das Rechtsgut abzuwenden oder zumindest abzuschwächen.
Erforderlichkeit
Die Notstandshandlung muss erforderlich sein (Wortlaut: ‚nicht anders abwendbare Gefahr‘), d.h. es darf kein anderes, gleich geeignetes, aber milderes Mittel zur Gefahrenabwendung zur Verfügung stehen. Unter mehreren gleich geeigneten Abwehrmöglichkeiten ist die mildeste (d.h. die am wenigsten schädigende) zu wählen. Zumutbare Handlungsalternativen müssen berücksichtigt werden.
Der entschuldigende Notstand des § 35 StGB erfordert keine Verhältnismäßigkeitsprüfung i.S. einer Güterabwägung.
Unzumutbarkeit der Gefahrhinnahme (§ 35 I 2 StGB)
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Keine pflichtwidrige Gefahrverursachung durch den Täter selbst
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Keine Gefahrtragungspflicht kraft besonderen Rechtsverhältnisses
Beispiele: Polizei, Feuerwehr, Bademeister -
Keine sonstige Gefahrtragungspflicht; § 35 I 2 StGB nicht abschließend (‚namentlich‘)
Beispiele: Garantenstellung aus Gefahrgemeinschaft; gesetzliche Duldungspflicht etwa bei Freiheitsentziehungen auf Grund eines rechtmäßigen Hoheitsaktes; besondere Disproportionalität zwischen Gefahr für geschütztes Rechtsgut und Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter durch Notstandshandlung
Subjektive Voraussetzungen
Kenntnis der Notstandslage
Gefahrabwendungswille
Strafzumessung und Strafaufhebung
Sofern der Täter nicht die o.g. objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 35 I StGB erfüllt und daher entschuldigt ist, kommt eine Strafmilderung in Betracht:
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Bei Zumutbarkeit der Gefahrhinnahme aus einem anderen Grund als einer Gefahrtragungspflicht kraft besonderen Rechtsverhältnisses (§ 35 I 2 StGB) → Möglichkeit der Strafmilderung (§ 49 I StGB)
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Wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, der ihn nach § 35 I StGB entschuldigen würde (Entschuldigungstatbestandsirrtum)
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bei Unvermeidbarkeit des Irrtums → Straflosigkeit (§ 35 II 1 StGB)
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bei Vermeidbarkeit des Irrtums → Obligatorische Strafmilderung (§§ 35 II 2, 49 I StGB)
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