GG
References
in Art. 94 GG

GG  
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Öffentliches RechtVerfassungsrecht

Staatsrecht I: Staatsorganisationsrecht

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:
1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Absatz 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetz vorgesehenen Fällen.
(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Absatz 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Absatz 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Absatz 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Absatz 4 oder nach Artikel 125a Absatz 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Absatz 4 oder nach Artikel 125a Absatz 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.
(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.
(4) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Ein Bundesgesetz bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben.
Source: BMJ
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Glaubens- (Religions-/Weltanschauungs-) und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG)

Öffentliches RechtVerfassungsrechtStaatsrecht II: Grundrechte

Prüfungsschema für das nach h.M. einheitliche Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) als Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.

 

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Schutzbereich
  3. Persönlich 
  4. Natürliche Personen
  5. Juristische Personen
  6. Sachlich 
  7. Eingriff
  8. Rechtfertigung
  9. Einschränkbarkeit des Grundrechts (‚Schranke‘)
  10. Grenzen der Einschränkbarkeit (‚Schranken-Schranken‘)
  11. Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
  12. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
  13.  Zuständigkeit: Gesetzgebungszuständigkeit
  14. Verfahren: Gesetzgebungsverfahren
  15. Form: Ausfertigung und Verkündung
  16. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
  17. Allgemeine materielle Anforderungen
  18. Verhältnismäßigkeit des Gesetzes 
  19. Legitimer Zweck
  20. Geeignetheit
  21. Erforderlichkeit
  22. Angemessenheit
  23. Ggf. Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts

 

Schutzbereich

Persönlich 

Natürliche Personen

Die Glaubens-/Gewissensfreiheit ist ein ‚Jedermanngrundrecht‘ (auch ‚Menschenrecht‘), auf das sich alle natürlichen Personen – unabhängig von ihrer Nationalität – berufen können.

Juristische Personen

Auch Glaubensgemeinschaften können sich nach Art. 19 III GG auf Art. 4 I GG berufen. Sie müssen dafür nicht rechtsfähig i.S.d. Privatrechts sein. Siehe hierzu allgemein das Schema Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Art. 19 III GG.

Beispiele: Kirchen in Form von Körperschaften des Öffentlichen Rechts; nicht-rechtsfähige katholische Jugendvereine; private konfessionelle Krankenhäuser; nicht-religiöse Glaubensgemeinschaften

 

Sachlich 

Die Begriffe Glaube, Religion, Weltanschauung und Gewissen sind schwer voneinander abzugrenzen.

Die h.M. (BVerfG) interpretiert Art. 4 I GG jedoch als „umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht“:

  • Dabei fungiert Glaube als Oberbegriff für Religion und Weltanschauung.

  • Die Gewissensfreiheit ist nach h.M. eine separate Gewährleistung desselben Grundrechts. (Eine a.A. sieht die Gewissensfreiheit als separates Grundrecht an, s. Problembox)

 

Ist die Gewissensfreiheit ein separates Grundrecht?

  • e.A.: (+) Ja, separates Grundrecht
    (proSystematik: Die Gewissensfreiheit ist individualistisch orientiert, die Glaubensfreiheit kollektivistisch. Die aufgrund von Art. 140 GG geltenden, in Art. 136 – 139 und 141 WRV normierten Sonderregelungen für die kollektive Glaubensfreiheit passen nicht auf die Gewissensfreiheit. So können sich auch Personenmehrheiten nur auf die Glaubensfreiheit und nicht auf die Gewissensfreiheit berufen.
    (conSystematik: Die Glaubensfreiheit hat sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Komponente. 

  • h.M. (BVerfG): Nein, Art. 4 I GG ist ein einheitliches Grundrecht 
    Es handelt sich bei der Glaubens- und Gewissensfreiheit um dasselbe Grundrecht. 
    (proTelos: Im säkularen Staat sollen allen internen Glaubenssätzen die gleiche Bedeutung und der gleiche Schutzgehalt zukommen.

Unterschiede im Prüfungsmaßstab ergeben sich nach beiden Ansichten nicht, sodass der Streit von rein theoretischer Bedeutung ist. In der Klausur sollte daher i.d.R. ohne vertiefte Ausführungen einer Ansicht gefolgt werden.

 

 

Glaube

Gewissen

Glaube = Erklärungsmodell vom Wesen der Welt im Ganzen (z.B. Herkunft, Sinn, Ziel)

Gewissen = Moralische Haltung, die in einer konkreten Situation, an Kategorien von ‚gut‘/‘gerecht‘ und ‚böse‘/‘ungerecht‘ orientiert, subjektiv unbedingt verpflichtend bestimmte Handlung vorschreibt 

Art. 4 III GG ist lex specialis zu Art. 4 I GG und regelt abschließend den Vorrang der Gewissensentscheidung vor der Wehrpflicht.

Religion

Weltanschauung

Religion = Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt und insb. seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Bewusstseinsschichten

  • Schutzbereich ist unabhängig von Organisationsstruktur (nicht nur große Religionen)

  • Nachgeordnete politische und wirtschaftliche Ziele der Organisationen sind unschädlich

  • Erforderlich ist aber eine gewisse Ernsthaftigkeit. Es muss sich nach Ansicht des BVerfG „tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion oder Religionsgemeinschaft handeln". Nicht geschützt sind nach h.M. (str.) reine Religionsparodien (z.B. Pastafarianismus mit ‚Glaube‘ an das fliegende Spaghettimonster).

Weltanschauung = Nichtreligiöse Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt 

 

 

 

 

  • Innere und äußere Komponente
    Glaube (Religion / Weltanschauung) und Gewissen haben jeweils eine innere sowie eine äußere Komponente:
    • forum internum
      Das Recht, Glaube/Religion/Weltanschauung/Gewissen (nicht) zu bilden bzw. (nicht) zu haben.
    • forum externum
      Das Recht, Glaube/Religion/Weltanschauung (nicht) zu äußern bzw. (nicht) danach zu handeln.
  • Positive und negative Komponente
    Forum internum und forum externum haben jeweils wiederum eine positive sowie eine negative (vgl. ‚nicht‘) Komponente.

 

 

 

Eingriff

Zuerst sollte das Vorliegen eines ‚klassischen Eingriffs‘ geprüft werden; nur wenn ein Merkmal nicht erfüllt ist, sollte auf den ‚modernen Eingriffsbegriff‘ eingegangen werden. Siehe hierzu ausführlich das Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte

Eingriff = Jedes staatliche Handeln, das zur Beeinträchtigung des Schutzbereiches führt und nach dem …

  • klassischen Eingriffsbegriff final, unmittelbar, rechtsförmig und zwangsförmig ist, bzw.
  • modernen Eingriffsbegriff (auch: ‚neuer Eingriffsbegriff‘) ein „funktionales Äquivalent" zu einem klassischen Eingriff darstellt.
    Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Eingriff eines der folgenden Merkmale aufweist: besondere Intensität, besondere Finalität oder besondere Zurechenbarkeit (meist definiert als Kausalität plus Vorhersehbarkeit).
  • Beispiel für Eingriff nach klassischem Eingriffsbegriff: Kopftuchverbot
  • Beispiel für Eingriff nach modernem Eingriffsbegriff: Staatliche Warnung vor Sekten

 

 

 

Rechtfertigung

Einschränkbarkeit des Grundrechts (‚Schranke‘)

Art. 4 GG enthält (bis auf für den Spezialfall der Regelung des Wehr- und Ersatzdienstes in Art. 4 III 2 GG) keinen Gesetzesvorbehalt.

Die h.M. sieht auch in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 I WRV keinen einfachen Gesetzesvorbehalt speziell für die Religionsfreiheit (s. Problembox).

Enthält die Religionsfreiheit einen einfachen Gesetzesvorbehalt?

  • h.M.: (–) Nein, kein einfacher Gesetzesvorbehalt
    (proWortlaut: Art. 4 I, II GG gewährt die Religionsfreiheit vorbehaltlos; Systematik: Aufgrund der sozialen Dimension der Grundrechte lediglich verfassungsimmanente Schranken (dazu sogleich).

  • a.A.: (+) Ja, es gilt ein einfacher Gesetzesvorbehalt
    (proWortlaut/Systematik: Art. 140 GG macht Art. 136 I WRV zum Bestandteil des Grundgesetzes.
    (conHistorie: Art. 136 I WRV war nie als Schranke gedacht. Religionsfreiheit war in Art. 135 WRV geregelt und hatte dort in Satz 3 eine Schranke.

Enthalten Grundrechte keinen Gesetzesvorbehalt, gilt nach h.M. aufgrund der sozialen Dimension der Grundrechte stets der ungeschriebene Vorbehalt der verfassungsimmanenten Schranken. Siehe hierzu ausführlich das Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte. Es handelt sich dabei um einen besonders qualifizierten (strengen) Gesetzesvorbehalt. Das Grundrecht kann also nur eingeschränkt werden:

  • auf gesetzlicher Grundlage
  • zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger Verfassungsgüter (z.B. Rechtsstaatlichkeit, Schutz der natürlichen Lebensgrundlage etc.) und nicht für jeden sonstigen legitimen Zweck 

 

Grenzen der Einschränkbarkeit (‚Schranken-Schranken‘)

Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes

Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes

(→ Ausführlich hierzu das Prüfungsschema Gesetzgebungsverfahren)

 Zuständigkeit: Gesetzgebungszuständigkeit
Verfahren: Gesetzgebungsverfahren
Form: Ausfertigung und Verkündung

 

Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
Allgemeine materielle Anforderungen
  • Zitiergebot (Art. 19 I 2 GG; teilw. auch unter ‚formelle Verfassungsmäßigkeit‘ geprüft)
  • Verbot des Einzelfallgesetzes (Art. 19 I 1 GG) 
  • Bestimmtheit und Rückwirkungsverbot (allg.: Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG; speziell für Strafgesetze, Art. 103 II GG)
  • Verbot der Einschränkung des Wesensgehaltes (Art. 19 II GG)

 

Verhältnismäßigkeit des Gesetzes 

Legitimer Zweck

Mangels Gesetzesvorbehalts reicht nicht jeder beliebige Zweck aus. Einschränkungen sind lediglich zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger Verfassungsgüter zulässig.

Geeignetheit

Das Gesetz muss geeignet sein, den Zweck wenigstens zu fördern.

Erforderlichkeit

Es darf kein gleichermaßen geeignetes Mittel zur Verfügung stehen, das milder ist (also weniger intensiv in Grundrechte eingreift).

Angemessenheit

Hier liegt in aller Regel der Schwerpunkt der Klausur. Dies sollte bei der Zeiteinteilung unbedingt berücksichtigt werden. 

Die Intensität des Eingriffs muss in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel des Schutzes anderer Verfassungsgüter stehen.

 

Ggf. Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts

Urteil oder Maßnahmen aufgrund des Gesetzes. 

 

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