GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Staatsrecht I: Staatsorganisationsrecht
- 1.
- über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
- 2.
- bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
- 2a.
- bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
- 3.
- bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
- 4.
- in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
- 4a.
- über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Absatz 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
- 4b.
- über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
- 4c.
- über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
- 5.
- in den übrigen in diesem Grundgesetz vorgesehenen Fällen.
Freiheit der Person (Art. 2 II 2, 104 GG)
Prüfungsschema für das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 II 2, 104 GG) in Form der körperlichen Bewegungsfreiheit als Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.
- Inhaltsverzeichnis
- Schutzbereich
- Persönlicher Schutzbereich
- Natürliche Personen
- Juristische Personen
- Sachlicher Schutzbereich
- Eingriff
- Freiheitsbeschränkung
- Freiheitsentziehung
- Rechtfertigung
- Einschränkbarkeit des Grundrechts (‚Schranke‘)
- Grenzen der Einschränkbarkeit (‚Schranken-Schranken‘)
- Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
- Formelle Verfassungsmäßigkeit
- Zuständigkeit: Gesetzgebungszuständigkeit
- Verfahren: Gesetzgebungsverfahren
- Form: Ausfertigung und Verkündung
- Materielle Verfassungsmäßigkeit
- Allgemeine materielle Anforderungen
- Spezielle Schranken-Schranken für Freiheitsentziehungen
- Verhältnismäßigkeit des Gesetzes
- Legitimer Zweck
- Geeignetheit
- Erforderlichkeit
- Angemessenheit
- Ggf. Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts
Schutzbereich
Persönlicher Schutzbereich
Natürliche Personen
Die Freiheit der Person ist ein ‚Jedermanngrundrecht‘ (auch ‚Menschenrecht‘), auf das sich alle natürlichen Personen – unabhängig von ihrer Nationalität – berufen können.
Juristische Personen
Juristische Personen können sich nicht auf die Freiheit der Person berufen, da diese nicht ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist. Siehe hierzu auch das Schema Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Art. 19 III GG.
Sachlicher Schutzbereich
Freiheit der Person = Körperliche Bewegungsfreiheit in Form der positiven Freiheit, einen anderen Ort aufzusuchen sowie der (damit korrespondierenden) negativen Freiheit, an einem Ort zu verweilen oder einem Ort fernzubleiben.
Ist auch das Recht, einen bestimmten Ort aufzusuchen, vom Schutzbereich umfasst?
Beispiel: Absperrung eines Platzes für alle Personen
-
e.A. (+) Umfasst ist auch das konkrete Recht, einen bestimmten Ort aufzusuchen
(pro) Systematik: Eingriffe können gerechtfertigt werden, müssen dies aber auch.
(con) Systematik: Ausufern der grundrechtlichen Gewährleistung. -
h.M. (–) Umfasst ist lediglich das abstrakte Recht, irgendeinen anderen Ort aufzusuchen
(pro) Systematik: Für das Aufsuchen eines bestimmten Ortes ist die Freizügigkeit gem. Art. 11 GG einschlägig.
Eingriff
Zuerst sollte das Vorliegen eines ‚klassischen Eingriffs‘ geprüft werden; nur wenn ein Merkmal nicht erfüllt ist, sollte auf den ‚modernen Eingriffsbegriff‘ eingegangen werden. Siehe hierzu ausführlich das Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte.
Eingriff = Jedes staatliche Handeln, das zur Beeinträchtigung des Schutzbereiches führt und nach dem …
- klassischen Eingriffsbegriff final, unmittelbar, rechtsförmig und zwangsförmig ist, bzw.
- modernen Eingriffsbegriff (auch: ‚neuer Eingriffsbegriff‘) ein „funktionales Äquivalent" zu einem klassischen Eingriff darstellt.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Eingriff eines der folgenden Merkmale aufweist: besondere Intensität, besondere Finalität oder besondere Zurechenbarkeit (meist definiert als Kausalität plus Vorhersehbarkeit).
Ist für einen Eingriff in die Freiheit der Person staatliche Zwangsanwendung nötig?
-
h.M.: (–) Bereits Ge- oder Verbote per se sind ein Eingriff
(pro) Systematik: Möglichkeit des Staates diese Ge- oder Verbote aufgrund seines Gewaltmonopols mit Zwang durchzusetzen. -
a.A.: (+) Nur vollstreckte Ge- oder Verbote in Form von Maßnahmen des unmittelbaren körperlichen oder psychischen Zwangs sind Eingriffe
(pro) Historie: Klassischer Anwendungsfall war historisch die staatliche zwanghafte Gefängnisstrafe (vgl. habeas corpus).
Ist jedes Gebot, an einem bestimmten Ort zu erscheinen, ein Eingriff in die Freiheit der Person?
-
e.A.: (+) Jedes Gebot ist ein Eingriff
- a.A.: (+/-) Ein Eingriff ist nur das zeitlich konkretisierte Gebot, zu einer konkreten Zeit an einem bestimmten Ort zu erscheinen
(pro) Nur dann hat der Betroffene keine freie Wahl, wann er der Pflicht nachkommen möchte.
Je nach Intensität des Eingriffs ergeben sich unterschiedliche Rechtfertigungsanforderungen. Sämtliche Eingriffe werden als Freiheitsbeschränkungen bezeichnet. Die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung stellen Freiheitsentziehungen dar. Lediglich für sie gelten die besonderen Schranken-Schranken des Art. 104 II – IV GG. Daher wird i.d.R. bereits auf Ebene des Eingriffs wie nachfolgend unterschieden in Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen.
Da diese Differenzierung erst auf Ebene der Rechtfertigung rechtlich relevante Auswirkungen entfaltet, kann sie auch erst dort vorgenommen werden.
Freiheitsbeschränkung
Freiheitsbeschränkung = Jeder Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit
Beispiele: polizeiliches Anhalten für Alkoholkontrolle am Steuer; Mitnahme auf die Wache, um dort kurz (Faustregel: bis ca. 2-3 Stunden) die Identität festzustellen.
Freiheitsentziehung
Freiheitsentziehung = Aufhebung der Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin (räumlich) und für eine nicht nur kurzfristige Dauer (zeitlich)
Beispiele: Gefängnisstrafe; Hausarrest; infektionsschutzrechtliche Quarantäneanordnung; Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik.
Rechtfertigung
Einschränkbarkeit des Grundrechts (‚Schranke‘)
- Für sämtliche Formen der Freiheitsbeschränkung gilt, dass sie gem. Art. 2 II 3 GG nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden dürfen. Dieser zunächst einfache Gesetzesvorbehalt wird konkretisiert durch Art. 104 GG (lex specialis zu Art. 2 II 3 GG). Nach Art. 104 I 1 GG muss es sich dabei um formelle Parlamentsgesetze handeln (nicht ausreichend sind Satzungen oder Verordnungen).
Dass Art. 2 GG und Art. 104 GG die Normen so verstreut geregelt wurden, hat insb. historische Gründe: Art. 104 GG ist Umsetzung des angelsächsischen Rechtsinstituts habeas corpus, das gerade der Rechtsprechung aufträgt, Verhaftungen anzuordnen. Er steht daher in Abschnitt „IX. Die Rechtsprechung".
- Die intensivste Form der Freiheitsbeschränkung in Form der Freiheitsentziehung steht hingegen unter einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt, da nach Art. 104 II - IV GG zusätzliche Voraussetzungen zu wahren sind (dazu sogleich).
Grenzen der Einschränkbarkeit (‚Schranken-Schranken‘)
Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
Formelle Verfassungsmäßigkeit
(→ Ausführlich hierzu das Prüfungsschema Gesetzgebungsverfahren)
Zuständigkeit: Gesetzgebungszuständigkeit
Verfahren: Gesetzgebungsverfahren
Form: Ausfertigung und Verkündung
Materielle Verfassungsmäßigkeit
Allgemeine materielle Anforderungen
- Zitiergebot (Art. 19 I 2 GG; teilw. auch unter ‚formelle Verfassungsmäßigkeit‘ geprüft)
- Verbot des Einzelfallgesetzes (Art. 19 I 1 GG)
- Bestimmtheit und Rückwirkungsverbot (allg.: Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG; speziell für Strafgesetze, Art. 103 II GG)
Aus der Unschuldsvermutung (in dubio pro reo; verankert in Art. 103 II GG) leitet das BVerfG ab, dass Verdächtige in Untersuchungshaft anders zu behandeln sind, als Verurteilte im Strafvollzug. - Verbot der Einschränkung des Wesensgehaltes (Art. 19 II GG)
Hieraus ergibt sich insb., dass die tatsächlich die gesamte Lebensdauer umfassende Freiheitsentziehung unzulässig ist und der betroffenen Person (auch bei nachträglicher Sicherungsverwahrung) stets die Möglichkeit der Freiheitserlangung verbleiben muss.
Spezielle Schranken-Schranken für Freiheitsentziehungen
Aufgrund ihrer besonderen Intensität erfordert die Freiheitsentziehung nach Art. 104 II - IV GG:
- Richterliche Anordnung
- Art. 104 II 1 GG: Grundsatz der vorherigen richterlichen Anordnung
Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters - jedenfalls zur Tageszeit - zu gewährleisten. - Art. 104 II 2 GG: Ausnahme der unverzüglichen nachträglichen Herbeiführung der richterlichen Anordnung
Zulässig lediglich, wenn der Zweck der Freiheitsentziehung nicht mehr erreichbar wäre, wenn der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. - Art. 104 II 3, III GG: Ausnahme für Personen, die von der Polizei oder wegen Strafverdachts festgenommen werden
- Art. 104 II 1 GG: Grundsatz der vorherigen richterlichen Anordnung
- Subjektives Recht auf Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson, Art. 104 IV GG
Verhältnismäßigkeit des Gesetzes
Legitimer Zweck
Grds. jedes öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist.
Geeignetheit
Das Ziel kann grundsätzlich durch das Mittel erreicht werden.
Erforderlichkeit
Es existiert kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels.
Angemessenheit
Hier liegt in aller Regel der Schwerpunkt der Klausur. Dies sollte bei der Zeiteinteilung unbedingt berücksichtigt werden.
Die Intensität des Eingriffs muss in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel des Schutzes anderer Verfassungsgüter stehen.
Ggf. Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts
Urteil oder Maßnahmen aufgrund des Gesetzes.